Julia Weihnachtsband Band 26
„Alle?“
„Ja. Als ich die Zahlen gesehen habe, war ich im Grunde froh darüber, dass ich gezwungen war, mich genauer in diesem Werk umzuschauen. Mein Dad und ich prüfen die Gesamtzusammenhänge, wenn wir vierteljährlich die Gewinnabrechnungen erhalten. Dabei gehen wir nicht in die Einzelheiten. Deine Situation hat mich dazu gezwungen.“
„Oh Gott!“ Sie schloss die Augen.
„Du traust mir nicht. Ich habe verstanden. Privat, in Mann-Frau-Beziehungen, ist mir auch nicht zu trauen. Ich will nicht das, was du dir wünschst. Du könntest vermutlich nicht so leben wie ich. Aber stelle nie wieder meinen Unternehmergeist infrage.“
Sie schluckte. „Entschuldige.“
Er ließ sich in Paul McCoys hochlehnigem schwarzen Ledersessel zurücksinken. „Ich sage jetzt nicht, alles wäre gut, denn nichts ist gut. Aber ich bin bereit, es zu vergessen und nach vorn zu blicken.“
„Danke.“
„Und erzähle niemandem von den Gehaltserhöhungen.“
Verwirrt blickte sie auf.
„Du brauchst deine jetzt. Behaupte nicht, es wäre nicht so. Aber Buchhaltung und Personalbüro brauchen Zeit für die Bearbeitung der übrigen. Auf meine Anweisung hin haben sie deine vorgezogen. Aber ich will niemanden kränken oder verärgern. Also bewahre bitte Stillschweigen, bis die allgemeinen Gehaltserhöhungen im Januar angekündigt werden.“
„Aber dann erfährt niemand, dass du die Gehaltserhöhungen veranlasst hast.“
Er griff nach seinem Stift und senkte den Blick auf die Papiere vor ihm. „Wozu auch?“
„Aber doch! Mr McCoy ist derjenige, der so aufs Sparen bedacht war, dass wir nie eine richtige Gehaltserhöhung bekommen haben. Er hat behauptet, das Unternehmen könnte sich das nicht leisten. Und wenn er zurückkommt, kassiert er die Lorbeeren für die allgemeine Gehaltserhöhung.“
„Hier geht es nicht darum, wer welche Lorbeeren kassiert.“ Er sah nicht einmal auf. „Ich habe dir nur das bewilligt, wofür du in den letzten vier Jahren gearbeitet hast. Du kannst jetzt gehen.“
Wendy fühlte sich entlassen und stand auf. Sie hatte ihrer Freundschaft mit Cullen den Todesstoß versetzt und kam sich ziemlich bescheuert vor.
7. KAPITEL
Am Abend, nachdem sie Harry einen Gutenachtkuss gegeben hatte, zog Wendy sich in ihr Wohnzimmer zurück. Trostbedürftig, wie sie war, zündete sie im Kamin ein Feuer an, holte sich ein Buch und kuschelte sich aufs Sofa.
Sie hatte höchstens zwanzig Minuten gelesen, als die Ereignisse des Tages sie wieder niederdrückten. Sie hatte Cullen nicht kränken wollen. Sie hatte geglaubt, sich selbst verteidigen zu müssen. Was ein weiterer Beweis dafür war, dass sie beide für eine Beziehung viel zu verschieden waren. So verschieden, dass sie seine Freundlichkeit als Versuch, ihre Gunst zu erkaufen, missverstanden und sich unmöglich gemacht hatte.
Ihre Miene verdüsterte sich. Abgesehen davon, dass er sie geküsst hatte, war alles, was er tat, für Harry. Als er in das Gespräch mit Randy Zamias eingriff, als er sagte, sie sollten nicht warten, sondern Harry gleich über den Tod seines Vaters informieren, als er anbot, sie zum Essen einzuladen –, das alles hatte er für Harry getan. Und vielleicht war er gar nicht aufdringlich und tyrannisch gewesen, sondern wollte einfach nur helfen? Ungewohnt im Umgang mit kleinen Jungen wie Wendy selbst noch zu Anfang waren ihm ein paar Fehler unterlaufen.
Ihr aber auch.
Dennoch hatte sie alles persönlich aufgefasst. Und dabei vergessen oder vielleicht nicht einmal bemerkt, dass er im Büro und während ihrer Privatgespräche immer der perfekte Gentleman war.
Betrübt fuhr sie sich mit den Händen übers Gesicht und erhob sich vom Sofa, um sich heißen Kakao zu bereiten, doch von oben ertönte ein markerschütternder Schrei. Wendy warf ihr Buch auf den Tisch, rannte die Treppe hinauf und stürzte in Harrys Zimmer.
Harry saß schluchzend mitten in seinem Bett. Er trug seine Brille nicht, und Wendy sah die Tränen, die ihm über die Wangen liefen. Sie setzte sich auf die Bettkante, und Harry warf sich ihr in die Arme.
„Ist ja gut. Ist ja schon gut.“
Schluchzer schüttelten seinen kleinen Körper, während er sich an Wendy klammerte. „Nein, ist es nicht!“
„Hast du schlecht geträumt?“
„Ja.“
„Jetzt bin ich ja bei dir. Dir kann nichts passieren.“
„Cullen soll kommen.“
Verdutzt atmete sie tief ein. Es schmerzte nicht nur, dass ihr Trost nicht ausreichte, sondern sie war auch nicht überzeugt, dass Cullen kommen
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