Julia
mit frischer Luft zu füllen, dass sie sich nicht die Zeit nahm, erst einmal zu sehen, ob er es überhaupt war, sondern sofort überglücklich auf ihren Retter zustürmte.
»Romeo!« Erst jetzt ließ sie zu, dass sich ein Gefühl von Schwäche ihrer bemächtigte. »Dem Himmel sei Dank ... !«
Aber es war nicht Romeo, der dort in der Tür stand und sie mit einem rätselhaften Lächeln betrachtete, sondern Messer Salimbeni.
»Man möchte meinen«, begann er, wobei sein gepresster Ton in einem seltsamen Gegensatz zu seiner amüsierten Miene stand, »Ihr beweint den Tod Eures Cousins über alle Maßen, weil Ihr auf diese Art an seinem Grab zurückbleibt. Allerdings kann ich auf diesen rosigen Wangen keine Spuren von Tränen erkennen. Ist es denn denkbar ...« Er kam ein paar Schritte die Treppe herunter, rümpfte dann aber wegen des modrigen Geruchs voller Ekel die Nase, »dass meine süße Braut den Verstand verloren hat? Ich fürchte, das ist der Fall. Wahrscheinlich werde ich Euch in Zukunft immer auf Friedhöfen suchen müssen, meine Liebe, und Euch jedes Mal dabei antreffen, wie Ihr wild mit Knochen und hohlen Schädeln spielt. Aber ...«, er zog eine lüsterne Grimasse, »mir selbst sind solche Spiele auch nicht fremd. Wahrhaft, ich glaube, wir werden gut zusammenpassen, Ihr und ich.«
Giulietta, die bei seinem Anblick vor Schreck erstarrt war, wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie hatte kaum verstanden, wovon er sprach. Ihre Gedanken galten einzig und allein Romeo und der Frage, warum nicht er, sondern der verhasste Salimbeni erschienen war, um sie aus dem Grabe zu befreien. Doch natürlich war das eine Frage, die sie nicht zu stellen wagte.
»Kommt!« Salimbeni forderte sie mit einer Handbewegung auf, die Grabkammer zu verlassen. Da Giulietta nicht wusste, was sie sonst tun sollte, gehorchte sie. Als sie schließlich an seiner Seite hinaus ins Freie trat, stellte sie fest, dass bereits Nacht war und um sie herum lauter uniformierte Salimbeni-Wachen mit Fackeln standen.
In ihren Gesichtern glaubte sie zum Teil Mitleid, zum Teil Gleichgültigkeit zu erkennen. Am meisten aber beunruhigte sie, dass alle diese Männer den Eindruck machten, als wüssten sie mehr als sie selbst.
»Dürstet es Euch denn gar nicht danach zu erfahren«, fragte Salimbeni, der ihre Verwirrung sichtlich genoss, »wie es mir gelungen ist, Euch aus des Todes eitriger Umarmung zu befreien?«
Giulietta war kaum noch in der Verfassung, auf seine Frage zu reagieren, allerdings brauchte sie das auch gar nicht, da Salimbeni munter seinen Monolog fortsetzte, ohne ihre Antwort abzuwarten.
»Zu Eurem großen Glück«, erklärte er, »hatte ich einen ausgezeichneten Führer. Meine Leute sahen ihn herumschleichen, und statt ihn sofort aufzuspießen - wie eigentlich ihr Befehl gelautet hätte -, fragten sie sich schlauerweise, welche Art von Schatz einen verbannten Mann dazu verführen konnte, vor die verbotene Stadt zurückzukehren, wo er doch riskierte, entdeckt zu werden und eines gewaltsamen Todes zu sterben. Wie Ihr bestimmt schon erraten habt, führte uns sein Weg schnurstracks zu diesem Monument, und da allseits bekannt ist, dass man denselben Mann nicht zweimal töten kann, erriet ich rasch, dass ihn nicht Mordlust, sondern ein ganz anderes Motiv dazu trieb, in die Gruft Eures Cousins hinabzusteigen.«
Da Giuliettas Gesicht im Verlauf seiner Rede einen befriedigenden Grad an Blässe erreicht hatte, gab Salimbeni seinen Männern nun ein Zeichen, den fraglichen Mann herbeizuschaffen. Sie kamen der Aufforderung nach, indem sie seinen misshandelten Leib in ihre Mitte warfen, wie Fleischer einen schwächlichen, für den Fleischwolf bestimmten Tierkadaver zur Seite schleuderten.
Als Giulietta ihren geliebten Romeo blutig und mit gebrochenen Knochen auf dem Boden liegen sah, schrie sie laut auf, und hätte Salimbeni sie nicht davon abgehalten, hätte sie sich gewiss auf ihn geworfen, um sein schmutziges Haar zu streicheln und das Blut von seinen Lippen zu küssen, solange noch Leben in ihm war.
»Ihr Teufel in Menschengestalt!«, brüllte sie Salimbeni an, während sie wie ein wildes Tier kämpfte, um sich aus seinem Griff zu befreien. »Dafür wird Gott Euch strafen! Lasst mich an seine Seite, Ihr Unhold, damit ich zusammen mit meinem Ehemann sterben kann ! Denn ich trage seinen Ring am Finger, und ich schwöre bei allen Engeln im Himmel, dass ich niemals die Eure sein werde!«
Nun endlich runzelte Salimbeni die Stirn. Er packte
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