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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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ältester Freund.«
    »Würde es Euch trösten zu erfahren, dass der Mann, um den Ihr in Wirklichkeit weint, auf dem Weg in fremde Länder ist, wo seine Feinde ihn niemals finden werden?«
    Giulietta schlug eine Hand vor den Mund, um nicht vor Aufregung laut aufzuschreien. »Falls er tatsächlich in Sicherheit ist, bin ich die glücklichste Kreatur auf Erden. Gleichzeitig aber auch ...« - ihre Stimme zitterte - »die bemitleidenswerteste. Oh, Lorenzo, wie sollen wir denn so leben können ... er dort, ich hier? Ich wünschte, ich wäre mit ihm gegangen ! Wie gerne wäre ich ein Falke an seinem Arm, und nicht ein hilfloser kleiner Vogel in diesem widerwärtigen Käfig!«
    Da Giulietta plötzlich bewusst wurde, dass sie zu laut und viel zu offen gesprochen hatte, wandte sie nervös den Kopf, um zu sehen, ob jemand sie gehört hatte. Doch glücklicherweise war Monna Antonia so sehr in ihren eigenen Kummer vertieft, dass sie kaum etwas anderes mitbekam, und ihre übrigen Tanten waren noch immer damit beschäftigt, rund um die Bahre Blumen anzuordnen.
    Bruder Lorenzo lugte hinter seinen gefalteten Händen hervor und betrachtete Giulietta aufmerksam. »Wenn Ihr ihm folgen könntet, würdet Ihr es tun?«
    »Natürlich!« Unwillkürlich richtete Giulietta sich auf. »Ich würde ihm durch die ganze Welt folgen!« Als ihr bewusst wurde, dass sie sich schon wieder nicht im Griff hatte, ließ sie sich tiefer auf die Kniebank sinken und fügte in feierlichem Flüsterton hinzu: »Ich würde ihm sogar durch das Tal des Todes folgen.«
    »Dann fasst Euch«, wisperte Bruder Lorenzo, während er ihr warnend eine Hand auf den Arm legte, »denn er ist hier und - bleibt ganz ruhig! Er hat sich geweigert, Siena ohne Euch zu verlassen. Blickt Euch jetzt nicht um, denn er ist direkt hinter ...«
    Giulietta konnte nicht anders, als über die Schulter einen schnellen Blick auf den kapuzetragenden Mönch in der Bank hinter ihr zu werfen. Er hielt den Kopf gesenkt, so dass von seinem Gesicht nicht das Geringste zu sehen war. Wenn sie sich nicht täuschte, trug er dieselbe Kutte, die Bruder Lorenzo ihr gegeben hatte, als sie damals zusammen zum Palazzo Marescotti gegangen waren.
    Giulietta schwindelte vor Aufregung. Mit einem nervösen, abschätzenden Blick betrachtete sie ihre Tanten und Cousinen. Wenn irgendjemand merkte, dass Romeo hier in der Kirche war, noch dazu an diesem besonderen Abend, würden weder er noch sie, ja wahrscheinlich nicht einmal Bruder Lorenzo den Sonnenaufgang erleben. Es war zu dreist und teuflisch, dass ein mutmaßlicher Mörder die Totenwache des armen Tebaldo entweihte, indem er der Cousine des toten Helden den Hof machte. Kein Tolomei würde diese Beleidigung hinnehmen.
    »Bist du von Sinnen?«, zischte sie ihm über die Schulter zu. »Wenn sie dich entdecken, werden sie dich töten!«
    »Deine Stimme ist schärfer als ihre Schwerter!«, beschwerte sich Romeo. »Ich bitte dich, sei lieb zu mir. Womöglich sind dies die letzten Worte, die du je zu mir sprichst.« Giulietta konnte die Aufrichtigkeit in seinen Augen eher spüren als sehen, während er sie unter seiner Kapuze heraus ansah und fortfuhr: »Wenn du tatsächlich ernst meinst, was du eben gesagt hast, dann nimm das ...«Er zog einen Ring von seinem Finger und hielt ihn ihr hin. »Hier, ich gebe dir diesen Ring ...«
    Giulietta schnappte nach Luft, nahm den Ring aber nichtsdestotrotz entgegen. Es war ein goldener Siegelring mit dem Marescotti-Adler, doch durch Romeos Worte Ich gebe dir diesen King war er zu ihrem Ehering geworden.
    »Möge Gott Euch beide bis in alle Ewigkeit segnen!«, flüsterte Bruder Lorenzo, dem voll und ganz bewusst war, dass besagte Ewigkeit noch in dieser Nacht anbrechen konnte, »und mögen alle Heiligen im Himmel Zeugen Eurer glücklichen Vereinigung sein. Und nun hört mir gut zu, Giulietta. Morgen wird der Leichnam in der Grabstätte der Tolomeis beigesetzt, außerhalb der Stadtmauern ...«
    »Halt!«, rief Giulietta. »Ihr nehmt mich doch gleich mit, oder?«
    »Schhh! Das ist unmöglich.« Wieder legte ihr Bruder Lorenzo beruhigend eine Hand auf den Arm. »Die Wachen am Tor würden Euch aufhalten. Außerdem ist es in der Stadt heute viel zu gefährlich ...«
    Als jemand auf der anderen Seite des Raumes zischend um Ruhe bat, zuckten sie beide vor Schreck zusammen. Giulietta warf einen nervösen Blick zu ihren Tanten hinüber, die sie mit warnenden Grimassen aufforderten, ruhig zu sein und Monna Antonia nicht noch mehr aufzuregen.

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