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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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leuchtenden Strahlen an die Decke des Gewölbes warf. Für einen Moment hatte ich fast das Gefühl, dass auch in mir ein poetischer Geist steckte. Ehe der Gedanke in meinem Kopf Wurzeln schlagen konnte, schüttelte ich ihn wieder ab. »Glaubst du daran?«, wandte ich mich an Alessandro. »Dass Fontebranda die Menschen pazzo macht?«
    Er blickte auf das Wasser hinunter. Unsere Füße sahen aus wie in flüssige Jade getaucht. Dann lächelte er träge, als spürte er irgendwie, dass er im Grunde gar nichts zu sagen brauchte, weil ich die Antwort direkt vor der Nase hatte, reflektiert in seinen Augen: die glitzernde grüne Verheißung von Verzückung.
    Ich räusperte mich. »Ich glaube nicht an Wunder.«
    Sein Blick glitt zu meinem Hals hinunter. »Warum trägst du dann das da?«
    Ich fasste an das Kruzifix. »Es ist von meiner Mutter. Normalerweise trage ich so was nicht. Im Gegensatz zu dir.« Ich nickte zu seinem offenen Hemd hinüber.
    »Du meinst das hier ...?« Er fischte das Ding heraus, das er an einem Lederband um den Hals hängen hatte. »Das ist kein Kruzifix. Ich brauche kein Kruzifix, um an Wunder zu glauben.«
    Verblüfft starrte ich den Anhänger an. »Du trägst eine Patronenkugel?«
    Er lächelte trocken. »Sie liegt mir eben am Herzen, wie man so schön sagt. Im Bericht stand Beschuss durch die eigene Seite. Sehr tröstlich. Sie ist zwei Zentimeter neben meinem Herzen steckengeblieben.«
    »Harter Brustkorb.«
    »Harter Partner. Solche Kugeln sind dafür gemacht, viele Menschen zu durchschlagen. Diese hier hat vorher schon jemand anderen durchquert.« Er ließ sie zurück in sein Hemd gleiten. »Wäre ich nicht gerade im Krankenhaus gewesen, hätte es mich ohnehin in Stücke gerissen. Anscheinend sieht Gott auch ohne Kruzifix, wo ich mich aufhalte.«
    Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte. »Wie ist denn das passiert? Und wo?«
    Er beugte sich vor und strich mit den Fingern über das Wasser. »Das habe ich dir schon gesagt. Am Rand des Abgrunds.«
    Ich suchte seinen Blick, doch er wich mir aus. »Und mehr willst du mir darüber nicht erzählen?«
    »Vielleicht ein andermal.«
    »Tja«, antwortete ich, »dann sage ich dir jetzt, woran ich glaube. Ich glaube an die Wissenschaft.«
    Er verzog keine Miene, betrachtete mich allerdings sehr aufmerksam. »Ich glaube«, sagte er schließlich, »dass du an mehr als das glaubst. Ob du es willst oder nicht. Und genau deswegen hast du Angst. Du hast Angst vor der pazzia.«
    »Angst?« Ich versuchte zu lachen. »Ich habe überhaupt keine ...«
    Er unterbrach mich, indem er eine Handvoll Wasser aus dem Brunnen schöpfte und sie mir hinhielt. »Wenn du nicht daran glaubst, dann trink. Du hast ja nichts zu verlieren.«
    »Jetzt hör aber auf!« Ich lehnte mich voller Abscheu zurück. »Das Zeug steckt bestimmt voller Bakterien!«
    Er schüttelte das Wasser zurück in den Brunnen. »Die Leute trinken es schon seit Hunderten von Jahren.«
    »Und werden verrückt davon!«
    »Siehst du«, meinte er lächelnd, »du glaubst doch daran.«
    »Ja! Ich glaube an Mikroben!«
    »Hast du schon jemals eine gesehen?«
    Ich funkelte ihn böse an, weil er so herausfordernd lächelte. Es ärgerte mich, dass er es so schnell geschafft hatte, mich in die Enge zu treiben. »Ich meine das ernst! Die Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen, bekommen jede Menge davon zu sehen.«
    »Santa Caterina hat Jesus gesehen«, erwiderte Alessandro mit glitzernden Augen, »oben am Himmel über der Basilica di San Domenico. Wem glaubst du? Deinem Wissenschaftler oder Santa Caterina? Oder beiden?«
    Als ich ihm keine Antwort gab, schöpfte er erneut Wasser aus dem Brunnen und trank ein paar Schlucke. Den Rest bot er mir an, doch ich wich auch dieses Mal zurück.
    Alessandro schüttelte den Kopf. Aus seiner Miene sprach geheuchelte Enttäuschung. »Das ist nicht die Giulietta, die ich kenne. Was haben sie in Amerika mit dir gemacht?«
    Mit einer abrupten Bewegung richtete ich mich auf. »Also gut, ich trinke!«
    Inzwischen war in seiner Hand nicht mehr viel Wasser, doch ich schlürfte es trotzdem auf, um klarzustellen, dass ich mich traute. Wie intim diese Geste wirkte, wurde mir erst bewusst, als ich den Ausdruck auf seinem Gesicht sah.
    »Nun kannst du der pazzia nicht mehr entfliehen«, flüsterte er heiser, »willkommen in Siena.«
    »Vor einer Woche«, entgegnete ich, während ich blinzelnd versuchte, die Fassung wiederzuerlangen, »wolltest du noch, dass ich zurück nach Hause

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