Julia
und dann auf einen Streich mein gesamtes Gepäck verloren hatte, war mir nur bedingt nach höflicher Konversation zumute.
Alles, was ich besaß, steckte in jenen zwei Koffern. Ich hatte meine paar Habseligkeiten bereits am Abend nach Tante Roses Beerdigung zusammengepackt und gegen Mitternacht mit einem Taxi das Haus verlassen, Janices triumphierendes Lachen noch im Ohr. Die Koffer enthielten allerlei Klamotten, Bücher und albernen Krimskrams, aber nun waren sie in Verona, und ich saß mit kaum mehr als einer Zahnbürste, einem halben Müsliriegel und ein paar Ohrstöpseln hier in Siena fest.
Nachdem Alessandro direkt vor dem Hotel geparkt und mir pflichtbewusst die Wagentür aufgehalten hatte, begleitete er mich auch noch ins Foyer, obwohl ihm anzusehen war, wie sehr ihm das gegen den Strich ging. Ich legte meinerseits keinerlei Wert auf diese Geste, aber Eva Maria beobachtete uns vom Rücksitz des Wagens, und ich wusste inzwischen, dass sie es gewohnt war, ihren Kopf durchzusetzen.
»Bitte«, sagte Alessandro, während er mir die Tür aufhielt, »nach Ihnen.«
Mir blieb nichts anderes übrig, als das Hotel Chiusarelli zu betreten. Das Gebäude hieß mich mit kühler Gelassenheit willkommen. Seine Decke wurde von hohen Marmorsäulen getragen, und von irgendwo unter uns drang ganz gedämpft Gesang herauf, begleitet vom Klappern von Töpfen und Pfannen.
»Buon giorno!« Hinter dem Empfang erhob sich ein majestätisch wirkender Mann, der einen Anzug mit Weste trug. Ein Namensschild aus Messing informierte mich darüber, dass er Direttor Rossini hieß. »Benvenuti - ah!« Er hatte Alessandro erblickt. »Benvenuto, Capitano.«
Mit einem Lächeln, von dem ich hoffte, dass es gewinnend wirkte, legte ich die Handflächen auf die grüne Marmortheke. »Hallo. Ich bin Giulietta Tolomei. Ich habe reserviert. Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment ...« Ich wandte mich an Alessandro. »Das hätten wir geschafft. Sie haben mich sicher abgeliefert.«
»Es tut mir sehr leid, Signorina«, erklärte Direttor Rossini, »aber auf Ihren Namen ist kein Zimmer reserviert.«
»Oh! Ich war sicher ... Ist das ein Problem?«
»Ja, wegen des Palio !« Er hob mit einer verzweifelten Geste beide Arme. »Das Hotel ist ausgebucht! Aber ...« Er deutete auf den Bildschirm seines Computers. »Ich habe hier eine Kreditkartennummer einer gewissen Julia Jacobs. Auf diesen Namen ist für eine Woche ein Einzelzimmer reserviert. Ankunft heute aus Amerika. Könnte es sich dabei um Ihre Reservierung handeln?« Ich lugte zu Alessandro hinüber, der meinen Blick erwiderte, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ja, das bin ich«, antwortete ich.
Direttor Rossini starrte mich überrascht an. »Sie sind Julia Jacobs? Und Giulietta Tolomei?«
»Nun ja ... ja.«
»Aber ...« Direttor Rossini trat einen kleinen Schritt zur Seite, um Alessandro besser sehen zu können, und formulierte mit den Augenbrauen eine höfliche Frage. »C'è un problema?«
»Nessun problema«, erwiderte Alessandro, ohne eine Miene zu verziehen. »Miss Jacobs. Genießen Sie Ihren Aufenthalt in Siena.«
Einen Augenblick später war Eva Marias Patensohn verschwunden, und ich blieb mit Direttor Rossini und einem peinlichen Schweigen zurück. Erst, nachdem ich alle Formulare ausgefüllt hatte, die er mir vorlegte, gestattete sich der Hoteldirektor schließlich ein Lächeln. »Demnach sind Sie eine Freundin von Capitano Santini?«
Ich blickte mich um. »Sie meinen den Mann, der eben hier war. Nein, wir sind nicht befreundet. Heißt er so? Santini?«
Direttor Rossini hielt mich definitiv für schwer von Begriff. »Er heißt Capitano Santini. Er ist der - wie sagt man - der Sicherheitschef der Monte dei Paschi. Im Palazzo Salimbeni.«
Offenbar starrte ich ihn erschrocken an, denn Direttor Rossini beeilte sich, mich zu beruhigen. »Keine Sorge, wir haben in Siena keine Verbrecher. Es ist eine sehr friedliche Stadt. Einmal hat es hier einen Verbrecher gegeben ...« - mit einem leisen Lachen läutete er nach dem Pagen - »aber um den haben wir uns gekümmert!«
Seit Stunden freute ich mich schon darauf, in ein Bett zu fallen, aber nun, da ich es endlich konnte, legte ich mich nicht hin, sondern tigerte stattdessen nervös in meinem Hotelzimmer auf und ab. Mir machte der Gedanke zu schaffen, Alessandro Santini könnte meinen Namen durch den Computer laufen lassen und dabei auf meine dunkle Vergangenheit stoßen. Das Letzte, was ich jetzt brauchte, war, dass in Siena jemand die alte
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