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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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Währungen hatten den Besitzer gewechselt. Der stete Strom moderner Touristen war in anderen Worten nichts als die Fortführung einer alten, profitablen Tradition.
    Auf diese Weise waren auch meine Vorfahren, die Tolomeis, reich geworden, erklärte mir Direttor Rossini, und ihre Rivalen, die Salimbenis, noch reicher. Sie waren Handelsleute und Bankiers gewesen, und die ohnehin schon unvorstellbar hohen Türme ihrer befestigten Palazzi, die damals zu beiden Seiten von Sienas wichtigster Straße emporragten, waren immer höher geworden, bis sie schließlich beide einstürzten.
    Am Palazzo Salimbeni angekommen, hielt ich vergeblich nach Überresten des alten Turms Ausschau. Obwohl es sich nach wie vor um ein beeindruckendes Gebäude mit einer Eingangstür ganz im Stil von Graf Dracula handelte, war es dennoch nicht mehr die Festung von früher. Während ich mit hochgestelltem Kragen vorübereilte, ging mir durch den Kopf, dass irgendwo in diesem Gebäude Eva Marias Patensohn Alessandro sein Büro hatte. Hoffentlich blätterte er nicht gerade in einem Straftatenregister, um das dunkle Geheimnis von Julia Jacobs zu lüften.
    Nicht allzu weit entfernt folgte der Palazzo Tolomei, das alte Wohnhaus meiner eigenen hochgestellten und mächtigen Vorfahren. Als ich nun an der prächtigen mittelalterlichen Fassade emporblickte, war ich plötzlich stolz darauf, von Menschen abzustammen, die einmal in diesem bemerkenswerten Gebäude gelebt hatten. Soweit ich es beurteilen konnte, hatte sich seit dem 14. Jahrhundert nicht viel verändert. Lediglich die Werbeposter in den tiefen Fenstern, deren farbenfrohe Versprechen von Eisenstäben durchschnitten wurden, deuteten darauf hin, dass die Tolomeis nicht mehr hier wohnten und stattdessen eine moderne Bank eingezogen war.
    Das Innere des Gebäudes wirkte ebenso streng wie die Fassade. Noch bevor ich die Eingangstür berühren konnte, hielt ein Wachmann sie mir so galant auf, wie die Halbautomatikwaffe in seinen Armen es zuließ. Sechs riesige Säulen aus rotem Ziegelstein stützten die Decke hoch oben über der Menschheit. Obwohl es in der Halle Schalter und Stühle gab und auf der weiten Fläche des Steinbodens Leute herumliefen, nahmen diese so wenig Raum ein, dass die weißen Löwenköpfe, die aus den alten Wänden hervorragten, die Anwesenheit der menschlichen Wesen überhaupt nicht zu bemerken schienen.
    »St?« Die Frau hinter dem Schalter musterte mich über den Rand einer Brille, deren Gläser so modisch schmal waren, dass sie unmöglich mehr als einen hauchdünnen Streifen von Realität übermitteln konnten.
    Aus Gründen der Diskretion beugte ich mich ein wenig vor. »Könnte ich bitte mit Signor Francesco Maconi sprechen?«
    Die Frau schaffte es tatsächlich, durch ihre schmalen Brillengläser den Blick auf mich zu richten, wirkte aber nicht überzeugt von dem, was sie sah. »Es gibt hier keinen Signor Francesco.« Sie sprach mit starkem Akzent, aber in entschiedenem Ton.
    »Keinen Francesco Maconi?«
    An diesem Punkt nahm die Frau ihre Brille ganz langsam ab und legte sie neben sich auf die Theke, wobei sie vorher vorsichtig die Bügel einklappte. Dann bedachte sie mich mit jenem überfreundlichen Lächeln, das man normalerweise nur zu sehen bekommt, bevor einem jemand eine Spritze in den Hals jagt. »Nein.«
    »Aber ich weiß, dass er früher hier gearbeitet hat ...« Weiter kam ich nicht, weil sich in dem Moment die Frau vom Nebenschalter herüberlehnte und ihrer Kollegin auf Italienisch etwas ins Ohr flüsterte. Zuerst tat meine unfreundliche Schalterdame die Einmischung der anderen mit einer wütenden Handbewegung ab, doch nach einer Weile besann sie sich anders.
    »Hören Sie«, wandte sie sich schließlich wieder an mich, »Sie meinen aber nicht zufällig Presidente Maconi?«
    Ich spürte, wie ein Adrenalinstoß durch meinen Körper schoss. »Hat er vor zwanzig Jahren auch schon hier gearbeitet?«
    Die beiden Frauen wirkten höchst konsterniert. »Presidente Maconi hat schon immer für diese Bank gearbeitet!«
    »Könnte ich vielleicht mit ihm sprechen?« Obwohl meine Schalterdame es nicht verdient hatte, lächelte ich lieb. »Er ist ein alter Freund meiner Mutter, Diane Tolomei. Ich bin Giulietta Tolomei.«
    Beide Frauen starrten mich an wie ein Gespenst, das gerade vor ihren Augen erschienen war. Ohne ein weiteres Wort setzte die Dame, die mich anfangs abwimmeln wollte, mit fahrigen Bewegungen ihre Brille wieder auf, wählte eine Nummer und führte ein kurzes

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