Julia
sich nicht den ganzen Abend lang bis zur Besinnungslosigkeit betrunken hatten. Auf so engem Raum waren einige wenige entschlossene Kämpfer gegenüber einer Schar von hundert Feinden keineswegs so wehrlos, wie sie es auf offenem Felde gewesen wären. Solange die Hundert einer nach dem anderen antraten, kam ihre zahlenmäßige Übermacht nicht zum Tragen.
Doch nicht alle Wachen Salimbenis waren Dummköpfe. Gerade als Giannozzas Mannen langsam Hoffnung schöpften, die Nacht vielleicht doch zu überleben, ließ sie ein lautes Geräusch an der Rückseite des Raumes herumfahren, und sie mussten zusehen, wie eine geheime Tür aufflog und ein Strom von Wachen sich in den Raum ergoss. Nun, da ihre Feinde gleichzeitig von vorne und hinten kamen, waren die Männer schnell überwältigt. Einer nach dem anderen ging geschlagen zu Boden, einige davon sterbend, andere bereits tot, während der Raum von Wachen überflutet wurde.
Selbst nun, da keine Hoffnung mehr bestand, wandte Romeo sich nicht um.
»Sieh mich an!«, drängte er Giulietta. Er war so darauf konzentriert, ihren schlaffen Körper wiederzubeleben, dass er gar nicht daran dachte, sich zu verteidigen. »Sieh mich ...« Doch in dem Moment traf ihn ein Speer von der anderen Seite des Raumes direkt zwischen die Schulterblätter. Ohne ein weiteres Wort von sich zu geben, brach er über dem Bett zusammen -selbst im Tod noch nicht willens, Giulietta loszulassen.
Während sein Körper schlaff wurde, fiel ihm der Siegelring mit dem Adler aus der Hand, woraus Bruder Lorenzo schloss, dass es Romeos letzter Wunsch gewesen war, den Ring wieder an den Finger seiner Frau zu stecken, wo er hingehörte. Ohne nachzudenken, nahm er den heiligen Gegenstand vom Bett - auf keinen Fall sollte er von Männern beschlagnahmt werden, die seine Bestimmung gewiss nicht respektieren würden -, doch ehe er ihn Giulietta anstecken konnte, rissen ihn starke Hände von ihr fort.
»Was ist hier passiert, du vermaledeiter Mönch?«, verlangte der Anführer der Wachen zu wissen. »Wer ist der Mann, und warum hat er Monna Giulietta getötet?«
»Dieser Mann«, entgegnete Bruder Lorenzo, der vor Schock und Kummer zu betäubt war, um echte Angst zu verspüren, »war ihr wahrer Gatte.«
»Gatte?« Der Anführer packte den Mönch an der Kapuze seiner Kutte und schüttelte ihn. »Du bist ein verdammter Lügner! Aber ...« - er entblößte die Zähne zu einem grausamen Lächeln - »wir haben Mittel und Wege, das zu ändern.«
Maestro Ambrogio sah es mit eigenen Augen, denn just in dem Moment, als er spät nachts am Palazzo Salimbeni vorbeiging, traf der Wagen aus Rocca di Tentannano ein. Die Wachen zögerten nicht, ihre traurige Fracht direkt zu Füßen ihres Herrn auf dessen Haustreppe abzulegen.
Zuerst kam Bruder Lorenzo an die Reihe, der - gefesselt und mit verbundenen Augen - kaum in der Lage war, vom Wagen zu steigen. Nach der gnadenlosen Brutalität zu urteilen, mit der ihn die Wachen ins Gebäude zerrten, brachten sie ihn geradewegs in die Folterkammer. Als Nächstes machten sie sich daran, die Leichen von Romeo, Giulietta und Nino abzuladen ... die alle zusammen in das gleiche blutige Tuch gehüllt waren.
Einige berichteten später, Salimbeni habe den Leichnam seines Sohnes betrachtet, ohne mit der Wimper zu zucken, doch der Maestro ließ sich durch die versteinerte Miene, die Salimbeni angesichts seiner eigenen Tragödie zur Schau trug, nicht narren. Nun endlich bekam dieser Mann das Ergebnis seiner furchtbaren Machenschaften präsentiert. Gott strafte ihn, indem er ihm seinen Sohn wie ein geschlachtetes Lamm servierte, beschmiert mit dem Blut der beiden Menschen, die er, Salimbeni, gegen den Willen des Himmels hatte trennen und auslöschen wollen. Gewiss begriff Salimbeni in jenem Moment, dass er sich bereits in der Hölle befand und seine Dämonen ihm stets folgen würden, egal, wohin er ging oder wie lange er lebte.
Als Maestro Ambrogio später in sein Atelier zurückkehrte, war ihm durchaus bewusst, dass Salimbenis Soldaten jeden Moment an seine Tür klopfen konnten. Falls die Gerüchte über Salimbenis Foltermethoden stimmten, würde der arme Bruder Lorenzo vermutlich noch vor Mitternacht alles hinausposaunen, was er wusste - und darüber hinaus noch jede Menge Unwahrheiten und Übertreibungen.
Allerdings fragte sich der Maestro, ob sie es wirklich wagen würden, auch ihn zu holen. Er war schließlich ein berühmter Künstler mit vielen vornehmen Gönnern. Dennoch konnte er nicht
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