Julia
Gespräch in bescheidenem, unterwürfigem Italienisch. Hinterher legte sie ehrfürchtig den Hörer zurück und wandte sich mit dem Anflug eines Lächelns an mich. »Er hat gleich nach dem Mittagessen Zeit für Sie, um drei Uhr.«
Die erste Mahlzeit, seit ich in Siena angekommen war, bekam ich in einer Pizzeria namens Cavallino Bianco, und während ich dort saß und so tat, als läse ich in dem Wörterbuch, das ich gekauft hatte, wurde mir allmählich klar, dass man mehr brauchte als ein geborgtes Kostüm und ein paar Redensarten, um mit den hier lebenden Italienerinnen mithalten zu können. Nachdem ich eine Weile verstohlen die Frauen um mich herum beobachtet hatte - ihre lächelnden Gesichter und überschwänglichen Gesten -, wuchs in mir der Verdacht, dass sie eine Fähigkeit besaßen, die mir stets gefehlt hatte. Zwar konnte ich diese Fähigkeit noch nicht genau benennen, doch vermutlich handelte es sich dabei um einen wesentlichen Bestandteil jenes schwer einzufangenden Zustandes - vollkommenen Glücks.
Nach dem Essen schlenderte ich weiter, wobei ich mich fremd und fehl am Platze fühlte. In einem Café an der Piazza Postieria trank ich im Stehen einen Espresso und fragte die vollbusige Barfrau, ob sie mir in der Nachbarschaft einen günstigen Kleiderladen empfehlen könne. Eva-Marias Koffer hatte - glücklicherweise - nicht auch noch Unterwäsche enthalten. Ohne weiter auf ihre übrigen Gäste zu achten, musterte sie mich skeptisch und sagte dann: »Sie brauchen ... alles neu, no? Neue Frisur, neue Kleider?«
»Nun -«
»Keine Sorge, mein Cousin ist der beste Friseur in Siena - vielleicht sogar auf der ganzen Welt. Er wird Sie verzaubern. Kommen Sie!«
Die Barfrau, deren Name Malèna war, hatte keinerlei Skrupel, mich mitten im größten Kaffee-Ansturm zum Salon ihres Cousins Luigi zu begleiten. Obwohl ihr ein paar Kunden verärgert nachriefen, lachte sie bloß achselzuckend. Sie wusste genau, dass all die Leute ihr weiterhin schöntun würden, wenn sie zurückkam, vielleicht sogar noch ein wenig mehr als zuvor, weil sie nun ja erlebt hatten, wie sich das Leben ohne sie anfühlte.
Luigi fegte gerade Haare vom Boden, als wir seinen Salon betraten. Er war nicht älter als ich, hatte aber das Auge eines Michelangelo. Als er damit einen Blick auf mich warf, blieb er jedoch sichtlich unbeeindruckt.
»Ciao, caro«, sagte Malèna und küsste ihn, fast schon wieder im Gehen, rasch auf beide Wangen, »das ist Giulietta. Sie braucht un makeover totale.«
»Eigentlich nur die Spitzen«, warf ich ein. »Ein paar Zentimeter.«
Es war eine größere Diskussion auf Italienisch nötig - die ich zum Glück nicht verstand -, ehe Malèna Luigi davon überzeugen konnte, sich meines traurigen Falles anzunehmen, aber nachdem er sich erst einmal dazu durchgerungen hatte, nahm er die Herausforderung sehr ernst. Sobald Malèna den Salon verlassen hatte, ließ er mich auf einem Friseurstuhl Platz nehmen und studierte mein Spiegelbild, wobei er mich mehrfach hin und her drehte, um alle Blickwinkel zu überprüfen. Dann zog er die Gummis von meinen Zöpfen und warf sie mit angewiderter Miene geradewegs in den Müll.
»Bene ...«, sagte er schließlich, plusterte mein Haar mit den Fingern ein wenig auf und betrachtete mich ein weiteres Mal im Spiegel, »gar nicht so übel, no?«
Als ich zwei Stunden später zurück zum Palazzo Tolomei ging, hatte ich mich zwar noch tiefer in Schulden gestürzt, aber es war jeden nicht vorhandenen Cent wert gewesen. Eva Marias rotschwarzes Kostüm lag ordentlich gefaltet auf dem Grund meiner Einkaufstüte und obenauf die dazu passenden Schuhe. Ich trug jetzt eines der fünf neuen Outfits, die alle von Luigi und seinem Onkel Paolo abgesegnet worden waren. Zufällig besaß Letzterer gleich um die Ecke einen Klamottenladen. Onkel Paolo - der kein Wort Englisch sprach, dafür aber alles über Mode wusste, was man wissen musste - hatte mir auf sämtliche Teile dreißig Prozent Rabatt gegeben, im Gegenzug allerdings das Versprechen abgenommen, nie wieder mein Marienkäferkostüm zu tragen.
Ich betrachtete mich in jedem Schaufenster, an dem ich vorbeikam. Warum hatte ich so etwas nicht schon viel früher gemacht? Seit der Highschool hatte ich mir die Haare - nur die Spitzen - alle zwei Jahre mit der Nagelschere selbst geschnitten. Ich brauchte dazu ungefähr fünf Minuten, und ehrlich gesagt dachte ich mir immer: Wer merkt schon den Unterschied? Tja, nun merkte ich den Unterschied ganz
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