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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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sofort, dass ich wegen des Schatzes meiner Mutter gekommen war, und hatte all die Jahre ungeduldig darauf gewartet, ihn endlich seiner rechtmäßigen Erbin auszuhändigen.
    Der echte Francesco Maconi war jedoch nicht so entgegenkommend. Ich begann ihm den Grund meines Besuchs zu erklären, und er hörte mir schweigend zu. Hin und wieder nickte er. Als ich schließlich fertig war, betrachtete er mich nachdenklich. Nichts an seiner Miene verriet mir, ob er meinem Anliegen wohlwollend gegenüberstand oder nicht.
    »Und deswegen habe ich mich gefragt«, fuhr ich fort, weil mir plötzlich klar wurde, dass ich den wichtigsten Teil vergessen hatte, »ob Sie mir vielleicht Zugang zu ihrem Schließfach verschaffen könnten.«
    Ich holte den Schlüssel heraus und legte ihn auf seinen Schreibtisch, doch Presidente Maconi streifte ihn nur mit einem raschen Blick. Nach einem kurzen, etwas peinlichen Moment des Schweigens erhob er sich und ging zu einem Fenster hinüber. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, blickte er stirnrunzelnd auf die Dächer von Siena hinaus.
    »Ihre Mutter«, sagte er schließlich, »war eine kluge Frau. Und wenn Gott weise Menschen zu sich in den Himmel holt, lässt er ihre Weisheit für uns auf der Erde zurück. Ihre Geister leben weiter und umflattern uns wie lautlose Eulen, deren Augen auch nachts etwas sehen können, während Sie und ich nur Dunkelheit wahrnehmen.« Er legte eine Pause ein, in der er prüfend auf eine sich lösende Bleiglasscheibe drückte. »In gewisser Weise wäre die Eule ein passendes Symbol für ganz Siena, nicht nur für unsere contrada.«
    »Weil ... alle Menschen in Siena weise sind?«, mutmaßte ich, weil ich nicht recht wusste, worauf er hinauswollte.
    »Weil die Eule eine antike Vorfahrin hat. Für die Griechen war sie die Göttin Athene. Eine Jungfrau, aber auch eine Kriegerin. Die Römer nannten sie Minerva. In römischen Zeiten gab es hier in Siena einen ihr geweihten Tempel. Das alte Siena war schon in der Antike die Stadt der Jungfrau. Verstehen Sie? Deswegen war es uns schon immer ins Herz gelegt, die Jungfrau Maria zu lieben - sogar schon in den alten Zeiten vor Christi Geburt. Für uns war sie immer hier.«
    «Presidente Maconi ...«
    »Miss Tolomei.« Endlich wandte er sich wieder in meine Richtung. »Ich versuche gerade herauszufinden, was jetzt wohl der Wille Ihrer Mutter wäre. Sie bitten mich, Ihnen etwas zu geben, das ihr sehr großen Kummer bereitet hat. Würde sie wirklich wollen, dass ich es Ihnen aushändige?« Er betrachtete mich mit dem Anflug eines Lächelns. »Aber letztendlich ist es nicht meine Entscheidung, oder? Immerhin hat sie es hier zurückgelassen, es nicht zerstört, also wollte sie wohl, dass ich es Ihnen oder sonst jemandem gebe. Die Frage ist: Sind Sie absolut sicher, dass Sie es haben wollen?«
    In der Pause, die auf seine Worte folgte, hörten wir es beide ganz deutlich: das platschende Geräusch, mit dem ein Wassertropfen in dem Plastikeimer landete - an einem strahlenden Sonnentag.
     
    Nachdem er einen zweiten Schließbefugten, den düster dreinschauenden Signor Virgilio, hinzugerufen hatte, führte Presidente Maconi mich über eine separate Treppe - eine alte steinerne Wendeltreppe, die es vermutlich schon seit der Entstehung des Palazzo gab - in die tiefsten Kellergewölbe der Bank hinunter. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass es unter Siena noch eine zweite Welt gab: eine Welt aus Höhlen und Schatten, die so ganz anders war als die lichtdurchflutete obere Welt.
    »Willkommen in den Bottini«, sagte Presidente Maconi, als wir in einen grottenartigen Durchgang traten, »das hier ist das alte unterirdische Aquädukt, das vor etwa tausend Jahren gebaut wurde, um Wasser in die Stadt Siena zu leiten. Es besteht ganz aus Sandstein, weshalb die damaligen Ingenieure selbst mit ihren primitiven Werkzeugen in der Lage waren, ein Labyrinth aus Tunneln zu graben, welche die öffentlichen Brunnen und sogar die Keller mancher Privathäuser mit frischem Wasser versorgten. Es ist natürlich längst nicht mehr in Gebrauch.«
    »Gehen heute noch viele Menschen in die Gänge hinein?«, fragte ich, während ich mit einer Hand über die raue Sandsteinwand strich.
    »O nein!« Presidente Maconi war ob meiner Naivität sichtlich amüsiert. »Das ist ein gefährlicher Ort. Man kann sich leicht verlaufen. Kein Mensch kennt sämtliche Bottini-Tunnel. Es gibt Geschichten, viele Geschichten über geheime Verbindungen von hier nach dort, aber wir

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