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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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deutlich. Irgendwie hatte Luigi es geschafft, mein ödes, langweiliges Haar zum Leben zu erwecken, und jetzt blühte es in seiner neuen Freiheit richtig auf. Während ich dahinmarschierte, wehte es im Wind und umrahmte mein Gesicht, als wäre es tatsächlich umrahmenswert.
    In unserer Kindheit und Jugend war Tante Rose mit uns zum Dorffriseur gegangen, wann immer es ihr in den Sinn kam. Dabei war sie allerdings klug genug gewesen, niemals mit uns beiden gleichzeitig zu gehen. Nur ein einziges Mal landeten Janice und ich Seite an Seite auf den Friseurstühlen, und während wir im Spiegel Grimassen schnitten, hob der alte Friseur unsere Pferdeschwänze hoch und rief: »Seht euch das an! Die eine hat Haare wie ein Bär, die andere wie eine Prinzessin.«
    Tante Rose gab ihm keine Antwort, sondern saß einfach nur da und wartete schweigend, bis er fertig war. Hinterher gab sie ihm sein Geld und bedankte sich in dem für sie typischen vornehmen Ton. Dann zerrte sie uns beide zur Tür hinaus, als hätten wir uns danebenbenommen, und nicht der Friseur. Seit jenem Tag hatte Janice nie eine Gelegenheit ausgelassen, mich zu meinem bärigen, ach so bärigen schönen Haar zu beglückwünschen.
    Die Erinnerung trieb mir fast die Tränen in die Augen. Während ich hier so schick gestylt die Straße entlanglief, befand sich Tante Rose an einem Ort, wo sie sich nicht mehr darüber freuen konnte, dass ich endlich meinem Makramée-Kokon entschlüpft war. Es hätte sie glücklich gemacht, mich so zu sehen, und sei es nur ein einziges Mal, aber ich war ja zu sehr damit beschäftigt gewesen, dafür zu sorgen, dass Janice mich nicht so sah.
     
    Presidente Maconi war ein vornehm wirkender Mann, der die sechzig wohl schon überschritten hatte. Er trug einen dezenten Anzug mit Krawatte und hatte mit erstaunlichem Erfolg ein paar lange Haarsträhnen von der einen Seite des Kopfes zur anderen hinübergekämmt. Um dieses Arrangement nicht zu gefährden, bewegte er sich mit würdevoller Steife, doch in seinen Augen funkelte eine Herzenswärme, die jede Spur von Lächerlichkeit sofort wieder eliminierte.
    »Miss Tolomei?« Er kam mir entgegen und schüttelte mir herzlich die Hand, als wären wir alte Freunde. »Welch unerwartete Freude.«
    Während wir zusammen die Treppe hinaufgingen, entschuldigte sich Presidente Maconi in makellosem Englisch für die rauen Wände und die welligen Böden. Lächelnd erklärte er, bei einem Gebäude, das fast achthundert Jahre alt sei, könne auch die modernste Raumausstattung nichts ausrichten.
    Nachdem ich an diesem Tag ständig mit Verständigungsproblemen zu kämpfen gehabt hatte, empfand ich es nun als Wohltat, endlich auf jemanden zu treffen, der fließend Englisch sprach. Der Hauch eines britischen Akzents ließ mich vermuten, dass Presidente Maconi eine Weile in England gelebt hatte - womöglich hatte er dort studiert -, was vielleicht auch erklärte, warum meine Mutter ihn damals als ihren Finanzberater gewählt hatte.
    Sein Büro lag im obersten Stockwerk, wo er durch die mit Stabwerk versehenen Fenster einen wunderbaren Blick auf die Kirche San Cristoforo und mehrere andere spektakuläre Gebäude der Nachbarschaft hatte. Allerdings wäre ich beim Eintreten fast über einen Plastikeimer gestolpert, der mitten auf dem großen Perserteppich stand. Nachdem Presidente Maconi sich davon überzeugt hatte, dass meine Gesundheit keinen Schaden davongetragen hatte, platzierte er den Kübel wieder genau dort, wo ich ihn weggekickt hatte.
    »Das Dach ist undicht«, erklärte er mit einem Blick an die von Rissen durchzogene Stuckdecke, »aber wir können die genaue Stelle nicht finden. Es ist wirklich seltsam - selbst wenn es nicht regnet, tropft Wasser herunter.« Achselzuckend forderte er mich auf, auf einem der beiden kunstvoll geschnitzten Mahagonistühle gegenüber seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. »Der alte Präsident hat immer gesagt, das Gebäude weine. Er hat übrigens Ihren Vater gekannt.«
    Nachdem er sich hinter dem Schreibtisch niedergelassen hatte, lehnte Presidente Maconi sich zurück, soweit sein Ledersessel es zuließ, und legte die Fingerspitzen aneinander. »Also, Miss Tolomei, was kann ich für Sie tun?«
    Aus irgendeinem Grund überraschte mich seine Frage. Ich war so sehr darauf konzentriert gewesen, erst einmal zu ihm vorzudringen, dass ich über den nächsten Schritt noch kaum nachgedacht hatte. So wie ich mir Francesco Maconi in meiner Vorstellung ausgemalt hatte, wusste er natürlich

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