Julia
wollen hier unten keine Leute haben, die das erforschen. Der Sandstein ist porös, müssen Sie wissen. Er bröckelt. Und ganz Siena sitzt obenauf.«
Ich zog die Hand zurück. »Aber diese Wand ist doch bestimmt ... gesichert?«
Presidente Maconi wirkte ein wenig verlegen. »Nein.«
»Aber es handelt sich um eine Bank. Das erscheint mir ... gefährlich.«
»Einmal«, entgegnet er mit indigniert hochgezogenen Augenbrauen, »haben tatsächlich ein paar Leute versucht, hier einzubrechen. Nur ein einziges Mal. Sie haben Monate dafür gebraucht, einen Tunnel zu graben.«
»Ist es ihnen gelungen?«
Presidente Maconi deutete auf eine Überwachungskamera, die gut versteckt in einer dunklen Ecke angebracht war. »Als der Alarm losging, sind sie durch den Tunnel geflohen, aber zumindest haben sie nichts gestohlen.«
»Wer waren sie?«, fragte ich. »Haben Sie das je herausgefunden?«
Er zuckte mit den Achseln. »Irgendwelche Gangster aus Neapel. Sie haben sich nie wieder blicken lassen.«
Als wir schließlich den Tresorraum erreichten, mussten Presidente Maconi und Signor Virgilio beide ihre elektronischen Schlüsselkarten durchziehen, um die massive Tür zu öffnen.
»Sehen Sie?« Presidente Maconi war sehr stolz auf diese Regelung. »Nicht einmal der Präsident kann das Gewölbe allein öffnen. Wie heißt es so schön? Absolute Macht führt zu absoluter Korruption.«
Im Inneren des Tresorraums waren sämtliche Wände vom Boden bis zur Decke mit Schließfächern ausgestattet. Die meisten waren klein, aber einige hatten die Größe von Gepäckfächern, wie man sie an Flughäfen fand. Wie sich herausstellte, lag das Fach meiner Mutter größenmäßig irgendwo in der Mitte. Sobald Presidente Maconi es mir gezeigt und beim Einführen meines Schlüssels geholfen hatte, verließen er und Signor Virgilio höflich den Raum. Wenige Augenblicke später hörte ich draußen das Geräusch von Streichhölzern. Offenbar nutzten sie die wunderbare Gelegenheit, draußen auf dem Gang eine Zigarettenpause einzulegen.
Seit ich Tante Roses Brief zum ersten Mal gelesen hatte, versuchte ich mir vorzustellen, worum es sich bei dem Schatz meiner Mutter handeln konnte, und kam dabei auf immer neue Ideen. Am Ende hatte ich beschlossen, meine Erwartungen möglichst niedrig zu halten, um hinterher nicht enttäuscht zu sein, aber in meinen wildesten, zügellosesten Träumen fand ich eine prächtige goldene Kiste, die - fest verschlossen und voller Verheißungen - durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit den Schatztruhen aufwies, die Piraten für gewöhnlich auf einsamen Inseln ausgruben.
Genau so etwas hatte mir meine Mutter hinterlassen. Es handelte sich um eine Holztruhe mit goldenen Verzierungen. Obwohl sie eigentlich nicht abgeschlossen war, ließ sie sich dennoch nicht öffnen, weil der Verschluss zugerostet war, so dass ich vorerst nicht recht viel mehr tun konnte, als sie vorsichtig zu schütteln und auf diese Weise vielleicht Aufschluss über ihren Inhalt zu bekommen. Sie hatte die Größe eines kleinen Toastergrills, war aber überraschend leicht, weshalb die Möglichkeit, sie könnte Gold und Juwelen enthalten, von vorneherein wegfiel. Andererseits kann ein Vermögen die unterschiedlichste Form und Substanz haben, und ich gehörte bestimmt nicht zu den Menschen, die dreistelliges Papiergeld verschmähten.
Als wir uns voneinander verabschiedeten, beharrte Presidente Maconi zunächst darauf, mir ein Taxi zu rufen, aber ich erklärte ihm, dass ich keines brauchte. Die goldverzierte Kiste passte wunderbar auf den Grund einer meiner Einkaufstüten, und bis zum Hotel Chiusarelli war es ja nicht weit.
»Ich würde Ihnen nicht raten, damit durch die Stadt zu spazieren«, entgegnete er, »Ihre Mutter war immer sehr vorsichtig.«
»Aber wer weiß denn schon, dass ich hier bin? Und dass ich diese Kiste habe?«
Er zuckte mit den Achseln. »Die Salimbenis ...«
Ich musste lachen. »Nun erzählen Sie mir bloß nicht, diese alte Familienfehde ist immer noch im Gange!«
Presidente Maconi wandte verlegen den Blick ab. Das Thema war ihm sichtlich unangenehm. »Ein Salimbeni bleibt immer ein Salimbeni.«
Während ich mich vom Palazzo Tolomei entfernte, sagte ich diesen Satz ein paarmal vor mich hin. Ich fragte mich, was genau er bedeuten mochte. Letztendlich kam ich zu dem Schluss, dass man in einer Stadt wie Siena eben mit derartigen Dingen rechnen musste: Nach dem zu urteilen, was Eva Maria mir über die heftigen Konkurrenzkämpfe der Contraden
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