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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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Blick mit einem Ausdruck vollkommener Aufrichtigkeit -, »weil er, wo auch immer er sein mag, völlig nutzlos ist ohne dich.«
     
    Als wir schließlich zum Auto zurückgingen, warfen unsere Körper bereits lange Schatten, und es hing ein Hauch von Abendstimmung in der Luft. Ich fragte mich, ob wir womöglich zu spät zu Eva Marias Fest kommen würden. In dem Moment läutete prompt Alessandros Telefon, so dass er es mir überließ, die Gläser und die leere Flasche im Kofferraum zu verstauen, während er sich ein paar Schritte vom Wagen entfernte und seiner Patin zu erklären versuchte, warum wir so verdächtig spät dran waren.
    Auf der Suche nach einem sicheren Platz für die Gläser bemerkte ich im hinteren Teil des Kofferraums eine hölzerne Weinkiste mit dem Aufdruck Castello Salimbeni an der Seite. Als ich den Deckel abhob, um einen Blick hineinzuwerfen, sah ich, dass in der Kiste statt Weinflaschen nur Holzspäne lagen, weshalb ich vermutete, dass Alessandro die Gläser und den Prosecco darin transportiert hatte. Um dafür zu sorgen, dass die Gläser auch wirklich heil blieben, wenn ich sie in die Kiste schob, wühlte ich ein wenig in den Holzspänen herum. Dabei stieß ich auf etwas Hartes, das sich, als ich es herauszog, als ein altes Kästchen entpuppte, etwa von der Größe einer Zigarrenschachtel.
    Während ich so dastand und die Schachtel in der Hand hielt, befand ich mich schlagartig wieder mit Janice in den Bottini, wo ich am Vortag beobachtet hatte, wie Alessandro eine ähnliche Schachtel aus einem Safe in der Kalktuffwand holte. Unfähig, der Versuchung zu widerstehen, hob ich mit der zittrigen Nervosität eines Menschen, der gerade etwas Verbotenes tut, den Deckel von der Schachtel. Dabei kam mir nie in den Sinn, dass ich eigentlich schon hätte wissen müssen, was sie enthielt. Erst, als ich mit den Fingern darüberstrich - den goldenen Siegelring auf seinem blauen Samtkissen -, stürzte die Wahrheit über mich herein wie ein Piano in einem Zeichentrickfilm.
    Vor lauter Schock darüber, dass wir doch tatsächlich mit einem Gegenstand herumfuhren, der - direkt oder indirekt - eine verdammt große Anzahl von Menschen das Leben gekostet hatte, schaffte ich es kaum, alles zurück in die Weinkiste zu stopfen, bevor Alessandro wieder neben mir stand, sein zugeklapptes Telefon in der Hand.
    »Was suchst du?«, fragte er mit zusammengekniffenen Augen.
    »Meine Sonnencreme«, antwortete ich leichthin und zog gleichzeitig den Reißverschluss meiner Reisetasche auf. »Die Sonne ist hier wirklich ... mörderisch.«
    Nachdem wir uns wieder auf den Weg gemacht hatten, brauchte ich erst mal eine Weile, um mich zu fangen. Alessandro war nicht nur in mein Hotelzimmer eingebrochen und hatte mich wegen seines Namens belogen, nein, selbst jetzt, nach allem, was zwischen uns passiert war - den Küssen, den Geständnissen, den Enthüllungen von Familiengeheimnissen -, sagte er mir noch immer nicht die Wahrheit. Sicher, er war mit einem Teil der Wahrheit herausgerückt, und ich hatte beschlossen, ihm zu glauben. Trotzdem war ich keineswegs so dumm anzunehmen, dass er mir wirklich schon alles Wissenswerte erzählt hatte. Dass dem nicht so war, hatte er ja sogar zugegeben, indem er mir die Erklärung für seinen Einbruch in mein Hotelzimmer verweigerte. Ja, er hatte ein paar Karten auf den Tisch gelegt, hielt aber zweifellos die meisten immer noch fest an die Brust gedrückt.
    Allerdings galt dasselbe wohl auch für mich.
    »Geht es dir gut?«, fragte er nach einer Weile. »Du bist sehr still.«
    »Alles bestens!« Ich wischte mir einen Schweißtropfen von der Nase und stellte bei der Gelegenheit fest, dass meine Hand zitterte. »Mir ist nur heiß.«
    Aufmunternd drückte er mein Knie. »Wenn wir da sind, fühlst du dich sicher gleich besser. Eva Maria hat einen Swimmingpool.«
    »Das war ja klar.« Ich holte tief Luft und atmete langsam aus. Meine Hand fühlte sich dort, wo der alte Ring meine Haut berührt hatte, seltsam taub an. Verstohlen wischte ich mir an meinem Rock die Finger ab. Eigentlich war es überhaupt nicht meine Art, abergläubischen Ängsten nachzugeben, aber diesmal ließen sie mich einfach nicht los, sondern explodierten in meinem Bauch wie Popcorn in einem heißen Topf. Ich schloss die Augen und sagte mir, dass nun nicht der richtige Zeitpunkt für eine Panikattacke war und das beklemmende Gefühl in meiner Brust nur einem Versuch meines Gehirns entsprang, meinem Glück Steine in den Weg zu legen. Das

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