Julia
war ja nichts Neues. Aber dieses Mal wollte ich es nicht zulassen.
»Ich glaube, du brauchst jetzt ...« - Alessandro bremste ab -»... cazzo!«
Ein bombastisches Eisentor versperrte uns den Weg. Alessandros Reaktion ließ vermuten, dass er normalerweise anders begrüßt wurde. Nach einem diplomatischen Wortwechsel mit einer Sprechanlage öffnete sich das Tor zu Aladins Höhle schließlich, und wir bogen in eine lange, von Zypressen flankierte Kieszufahrt ein. Sobald wir uns wohlbehalten auf dem Anwesen befanden, schwangen die beiden großen Flügel des Tores hinter uns lautlos wieder zu. Auch das Einrasten des Schlosses war kaum zu hören, denn unter unseren Reifen knirschte sanft der Kies, und rundherum besangen Scharen von Vögeln den schönen Spätnachmittag.
Eva Maria Salimbeni lebte in einer Art Traum. Ihr majestätischer Landsitz - oder vielmehr castello - thronte auf einem Hügel nahe dem Dorf Castiglione, und rundherum breiteten sich die Felder und Weinberge ihres Anwesens aus wie die Rockbahnen eines Mädchens, das sich auf einer Wiese niedergelassen hatte. Auf solche Orte stieß man normalerweise nur in unhandlichen Bildbänden, aber niemals in der Realität. Während wir uns dem Haus näherten, beglückwünschte ich mich stillschweigend zu meiner Entscheidung, alle Warnungen in den Wind zu schlagen und herzukommen.
Seit ich von Janice wusste, dass unser Cousin Peppo Eva Maria im Verdacht hatte, eine Mafiakönigin zu sein, schwankte ich zwischen hibbeliger Sorge und kopfschüttelnder Ungläubigkeit, doch nun, da ich endlich hier war und das Ganze bei Tageslicht betrachten konnte, erschien mir die Vorstellung völlig absurd. Wäre Eva Maria tatsächlich die Drahtzieherin irgendwelcher dunklen Machenschaften gewesen, dann hätte sie bestimmt nicht bei sich zu Hause ein Fest gegeben und eine Fremde wie mich dazu eingeladen.
Selbst die Bedrohung durch den Siegelring schien schwächer zu werden, während Castello Salimbeni vor uns auftauchte. Als wir schließlich neben dem großen Springbrunnen abbremsten, wurden alle Sorgen, die sich vielleicht noch tief in meiner Magengrube bemerkbar machten, vom Plätschern des türkisgrünen Wassers übertönt, das in mehreren Stufen aus drei Füllhörnern herabfiel. Gehalten wurden diese Füllhörner von nackten Nymphen, die auf marmornen Greifen saßen.
Vor einem Seiteneingang parkte der Lieferwagen einer Catering-Firma, und zwei Männer mit Lederschürzen waren gerade damit beschäftigt, Kisten auszuladen. Eva Maria stand händeringend daneben und überwachte das Ganze. Als sie unseren Wagens entdeckte, stürmte sie aufgeregt winkend herbei und forderte Alessandro per Handzeichen auf, sich mit dem Parken zu beeilen. »Benvenutii«, flötete sie und kam mit ausgebreiteten Armen auf uns zu. »Ich freue mich so, euch beide hier zu haben!«
Wie immer warf mich Eva Marias überschwängliche Art derart aus der Bahn, dass ich zu keiner normalen Reaktion mehr fähig war. Das Einzige, was mir durch den Kopf ging, war: Wenn ich in ihrem Alter noch solche Hosen tragen kann, wäre ich wahrhaft glücklich.
Sie küsste mich stürmisch, als hätte sie bis zu diesem Moment um meine Sicherheit gebangt, und wandte sich dann an Alessandro. Während sie ihn ebenfalls zur Begrüßung küsste und dabei die Finger um seinen Bizeps schlang, wurde ihr Lächeln eine Spur anzüglich. »Ich fürchte fast, du warst kein braver Junge! Ich habe euch schon vor Stunden erwartet!«
»Ich dachte«, antwortete er, alles andere als schuldbewusst, »ich zeige Giulietta Rocca di Tentennano.«
»O nein!«, rief Eva Maria und machte dabei ein Gesicht, als würde sie ihn am liebsten ohrfeigen. »Doch nicht diesen schrecklichen Ort! Die arme Giulietta!« Mit einem Ausdruck tiefsten Mitgefühls wandte sie sich an mich. »Es tut mir leid, dass Sie dieses hässliche Gebäude sehen mussten. Wie hat es denn auf Sie gewirkt?«
»Ehrlich gesagt«, antwortete ich mit einem Blick auf Alessandro, »fand ich es recht ... idyllisch.«
Aus irgendeinem unerklärlichen Grund gefiel meine Antwort Eva Maria so sehr, dass sie mir einen dicken Kuss auf die Stirn drückte, ehe sie vor uns beiden ins Haus marschierte. »Hier herein, bitte!« Sie schleuste uns durch eine Hintertür in die Küche, wo sich auf einem riesigen Tisch Unmengen von Essen türmten. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, meine Liebe, dass wir diesen Umweg nehmen ... Marcello! Dio Santo!« An einen der Männer vom Partyservice gewandt, warf sie
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