Julia
geworfen.
»Andiamo!«, rief Cocco und forderte uns mit einer Bewegung seiner Maschinenpistole auf, über das etwa hüfthohe Sicherheitstor zu steigen - was Janice und mir ziemliche Probleme bereitete, da unsere Hände immer noch auf dem Rücken gefesselt waren. Schließlich packten uns die Männer einfach an den Armen und zerrten uns hinüber, ohne sich darum zu kümmern, dass wir vor Schmerz aufschrien, als wir mit dem Schienbein die Metallstangen entlangschrammten.
Zum ersten Mal wagte Umberto, gegen ihre Brutalität Einspruch zu erheben, indem er zu Cocco etwas sagte, das nur bedeuten konnte: Komm schon, geh mit den Mädchen ein bisschen sanfter um! Das Einzige, was ihm das einbrachte, war ein derart heftiger Schlag mit dem Ellbogen gegen die Brust, dass er sich vor Schmerzen krümmte und hustend nach Luft rang. Als ich daraufhin stehenblieb, um nach ihm zu sehen, packten mich zwei von Coccos Männern an den Schultern und zerrten mich ungeduldig weiter, wobei ihre versteinerten Mienen keinerlei Gefühlsregung verrieten.
Der Einzige, der mit so etwas wie Respekt behandelt wurde, war Bruder Lorenzo. Ihm ließ man Zeit, in Ruhe über das Tor zu steigen und sich den Rest von Würde zu bewahren, der ihm noch geblieben war.
»Warum nehmen sie ihm die Augenbinde nicht ab?«, flüsterte ich Janice zu, sobald die Männer mich wieder losgelassen hatten.
»Weil sie vorhaben, ihn am Leben zu lassen«, lautete ihre niederschmetternde Antwort.
»Schhh!«, machte Umberto mit einer Grimasse in unsere Richtung. »Je weniger Aufmerksamkeit ihr auf euch lenkt, desto besser.«
Das war in Anbetracht der Umstände leichter gesagt als getan. Janice und ich hatten seit dem Vortag nicht mehr geduscht, ja, uns noch nicht mal die Hände gewaschen, und ich steckte immer noch in dem langen roten Kleid, das ich zu Eva Marias Fest getragen hatte - auch wenn es mittlerweile einen traurigen Anblick bot. Stunden zuvor hatte Janice vorgeschlagen, ich solle doch irgendetwas aus Moms Schrank anziehen und endlich dieses Grufti-Outfit ablegen, doch als ich ihrer Bitte schließlich nachgekommen war, hatten wir den Geruch nach Mottenkugeln beide nicht ertragen. Deswegen stand ich hier nun barfuß und völlig verdreckt, aber noch immer für einen Ball gekleidet, und sollte in diesem Zustand auch noch versuchen, möglichst wenig aufzufallen.
Eine Weile folgten wir den wippenden Kopflampen schweigend durch dunkle Gänge und etliche Treppen hinunter, angeführt von Cocco und einem seiner Handlanger - einem großen, gelbsüchtig aussehenden Kerl, dessen hagere Gesichtszüge und hängende Schultern mich an einen Aasgeier erinnerten. Hin und wieder blieben die beiden stehen, um einen Blick auf ein großes Stück Papier zu werfen, vermutlich einen Plan des Gebäudes. Jedes Mal, wenn sie haltmachten, zerrte jemand brutal an meinem Haar oder Arm, um sicherzustellen, das ich ebenfalls stehen blieb. Janice genoss neben mir genau dieselbe Behandlung. Auch wenn ich nicht zu ihr hinübersehen durfte, wusste ich doch, dass sie genauso verängstigt und wütend war wie ich und genauso wenig in der Lage, sich zu wehren.
Trotz ihrer Abendanzüge und Gelfrisuren verströmten die Männer einen scharfen, fast ranzigen Geruch, aus dem ich schloss, dass sie ebenfalls unter Druck standen. Oder aber es war der Gestank des Gebäudes, den ich da roch, denn je weiter hinunter es ging, umso schlimmer wurde es. Auf den ersten Blick wirkte alles sehr sauber, fast steril, doch während wir immer tiefer in das Netzwerk aus schmalen Gängen unter dem Keller hinabstiegen, wurde ich das Gefühl nicht los, dass sich - gleich auf der anderen Seite dieser trockenen, gut versiegelten Wände - etwas ganz und gar Fauliges durch den Gips fraß.
Als die Männer schließlich stehen blieben, hatte ich längst die Orientierung verloren. Mir kam es so vor, als befänden wir uns mindestens fünfzehn Meter unter der Erdoberfläche, konnte jedoch nicht mehr sagen, ob wir noch direkt unter Santa Maria della Scala waren. Vor Kälte schaudernd, hob ich abwechselnd meine eisigen Füße und presste sie in der Hoffnung, das Blut damit wieder zum Fließen zu bringen, kurz gegen meine Waden.
»Jules«, unterbrach Janice plötzlich meine Gymnastik, »nun komm schon!«
Ich rechnete halb damit, dass wir beide gleich einen Schlag auf den Kopf bekommen würden, weil sie mich angesprochen hatte, doch stattdessen schoben uns die Männer nach vorne, bis wir Cocco und dem Aasgeier von Angesicht zu Angesicht
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