Julia
Erleichterung, doch sobald Cocco auf sie zusteuerte und dabei die Hand zum Gruß hob, begriff ich, dass diese Männer nicht hier waren, um Musik zu machen, sondern zu seiner Schurkenbande aus Neapel gehörten.
Als die Männer Janice und mich erblickten, taten sie ihre Begeisterung sofort lautstark kund. Ohne sich im Geringsten um den Lärm zu kümmern, den sie veranstalteten, bemühten sie sich nach Kräften, uns durch Rufe und Pfiffe auf sich aufmerksam zu machen. Umberto unternahm gar nicht erst den Versuch, dem Spaß ein Ende zu setzen. Es stand außer Frage, dass er -und auch wir - einfach Glück hatten, noch am Leben zu sein. Erst als die Männer Bruder Lorenzo hinter uns aus dem Wagen auftauchen sahen, machte ihr Übermut so etwas wie Unbehagen Platz, und sie beugten sich alle hinunter, um nach ihren Instrumentenkoffern zu greifen wie Schuljungen nach ihren Taschen, wenn der Lehrer kommt.
Für alle anderen, die sich in dieser Nacht auf der Piazza aufhielten - und das waren eine ganze Menge, hauptsächlich Touristen und Teenager -, müssen wir ausgesehen haben wie eine normale Gruppe von Einheimischen, die von irgendeiner Festivität im Zusammenhang mit dem Palio zurückkam. Coccos Männer unterhielten sich die ganze Zeit lachend, während Janice und ich umringt von ihnen dahintrotteten - beide mit je einer großen Contraden-Flagge geschmückt, die auf höchst elegante Weise sowohl unsere Fesseln als auch die Klingen der Schnappmesser an unseren Rippen verhüllte.
Als wir uns dem Haupteingang von Santa Maria della Scala näherten, sah ich plötzlich Maestro Lippi mit einer Staffelei des Weges kommen. Seiner Miene nach zu urteilen, sann er gerade über Dinge nach, die nicht von dieser Welt waren. Da ich es nicht wagte, ihn auf uns aufmerksam zu machen, indem ich seinen Namen rief, starrte ich ihn so eindringlich an, wie ich nur konnte - in der Hoffnung, ihn auf irgendeine spirituelle Art zu erreichen. Nach einer Weile wandte er tatsächlich den Kopf in unsere Richtung, doch sein Blick glitt ohne ein Zeichen des Erkennens über uns hinweg. Enttäuscht stieß ich die Luft aus.
In dem Moment begannen die Kirchenglocken zu läuten.
Mittemacht. Bis jetzt war es eine schwülwarme, windstille Nacht gewesen, doch nun braute sich irgendwo in der Ferne ein Gewitter zusammen. Gerade als wir das bedrohlich wirkende Tor des alten Krankenhauses erreichten, fegten die ersten Windböen über den Platz und ließen Abfallfetzen, die ihnen in den Weg kamen, hochwirbeln, als suchten sie wie unsichtbare Dämonen nach etwas - oder jemandem.
Cocco verlor keine Zeit, sondern holte sofort ein Handy heraus und tätigte einen Anruf. Sekunden später erloschen die beiden großen Lampen zu beiden Seiten der Tür, und man hatte das Gefühl, als stieße der ganze Gebäudekomplex mit einem tiefen Seufzer die Luft aus. Ohne viel Aufhebens zog er einen großen schmiedeeisernen Schlüssel aus der Tasche, steckte ihn in das Schlüsselloch unter dem massiven Türgriff und sperrte mit einem lauten Scheppern das Tor auf.
Erst jetzt, als wir kurz davorstanden, das Gebäude zu betreten, ging mir durch den Kopf, dass Santa Maria della Scala so ziemlich der letzte Ort war, den ich mitten in der Nacht erforschen wollte, egal, ob mir jemand ein Messer an die Rippen drückte oder nicht. Obwohl dieses Bauwerk laut Umberto schon viele Jahre zuvor in ein Museum umgewandelt worden war, hatte es dennoch eine lange Geschichte der Krankheit und des Todes. Selbst für jemanden, der sich weigerte, an Geister zu glauben, gab es Grund genug, sich Sorgen zu machen, angefangen bei schlafenden Seuchenkeimen. Letztendlich aber spielte es keine Rolle, wie ich mich fühlte, denn ich hatte längst die Kontrolle über mein Schicksal verloren.
Als Cocco das Tor öffnete, rechnete ich halb mit davonhuschenden Schatten und Verwesungsgeruch, doch auf der anderen Seite empfing uns nichts als kühle Dunkelheit. Trotzdem blieben sowohl ich als auch Janice zögernd an der Schwelle stehen. Erst, als die Männer uns grob vorwärtszerrten, stolperten wir widerstrebend weiter, hinein ins Unbekannte.
Nachdem unsere ganze Schar drinnen und die Tür hinter uns wieder fest verschlossen war, gingen ein paar kleine Lichter an, weil die Männer Stirnlampen aufsetzten und ihre Instrumentenkoffer öffneten. Wie sich herausstellte, befanden sich darin keine Musikinstrumente, sondern Taschenlampen, Waffen und Elektrowerkzeuge. Sobald alles ausgeladen war, wurden die Koffer einfach zur Seite
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