Julia
aufzuspüren, wusste ich noch kaum, wo ich überhaupt anfangen sollte.
II.III
Der Tod, der deines Odems Balsam sog,
Hat über deine Schönheit nichts vermocht
Siena, im Jahre 1340
Der tödliche Hieb blieb aus. Stattdessen hörte Bruder Lorenzo - der immer noch betend vor dem Räuber kniete - ein kurzes, beängstigendes Zischen, gefolgt von einem Krachen, das den ganzen Karren zum Schwanken brachte, und anschließend das Geräusch eines zu Boden stürzenden Körpers. Und dann ... Stille. Ein kurzer Blick aus halb geöffnetem Auge bestätigte ihm, dass der Mann, der ihn eben noch ermorden wollte, tatsächlich nicht mehr mit gezogenem Schwert über ihm stand. Nervös richtete sich Bruder Lorenzo ein wenig auf, um zu sehen, wohin der Schurke so plötzlich verschwunden war.
Dort lag er zerschmettert und blutig im Straßengraben - der Mann, der noch wenige Augenblicke zuvor der anmaßende Anführer einer Bande von Straßenräubern gewesen war. Wie zerbrechlich und menschlich wirkte er nun, dachte Bruder Lorenzo, da aus seiner Brust die Spitze eines Messers ragte und ihm aus seinem teuflischen Mund Blut in ein Ohr lief, das viele schluchzende Gebete gehört hatte, aber kein einziges Mal gnädig gewesen war.
»Himmlische Mutter!« Der Mönch hob die gefalteten Hände. »Dank sei dir, o geheiligte Jungfrau, für die Errettung deines bescheidenen Dieners!«
»Gern geschehen, Bruder, aber ich bin keine Jungfrau.«
Als Bruder Lorenzo die gespenstische Stimme hörte und begriff, dass der Sprecher in nächster Nähe stand und mit dem Federbusch auf seinem Helm, dem Brustharnisch und der Lanze in der Hand ziemlich furchteinflößend aussah, sprang er erschrocken auf.
»Heiliger Michael«, rief er voller Ehrfurcht, aber auch ängstlich, »Ihr habt mir das Leben gerettet! Dieser Mann dort, dieser Schurke, war gerade im Begriff, mich zu töten!«
Der heilige Michael klappte sein Visier hoch, unter dem ein jugendliches Gesicht zum Vorschein kam. »Ja«, bestätigte er, wobei seine Stimme nun durchaus menschlich klang, »den Eindruck hatte ich ebenfalls. Dennoch muss ich Euch ein weiteres Mal enttäuschen: Ich bin auch kein Heiliger.«
»Was immer Ihr sein mögt, edler Ritter«, rief Bruder Lorenzo, »Eure Ankunft ist wahrhaft ein Wunder, und ich bin zuversichtlich, dass die heilige Jungfrau solch gute Taten im Himmel entlohnen wird!«
»Ich danke Euch, Bruder«, entgegnete der Ritter, aus dessen Augen der Schalk blitzte, »aber wenn Ihr das nächste Mal mit ihr sprecht, dann sagt ihr doch bitte, dass ich mich gerne mit einem Lohn hier auf Erden zufriedengebe. Einem neuen Pferd vielleicht? Denn mit diesem hier lande ich beim Palio sicher unter den Schweinen.«
Bruder Lorenzo blinzelte einmal, vielleicht sogar zweimal, während ihm allmählich dämmerte, dass sein Retter die Wahrheit gesagt hatte: Er war in der Tat kein Heiliger. Nach der Art zu urteilen, wie der junge Mann von der Jungfrau Maria gesprochen hatte - mit unverschämter Vertraulichkeit -, war er auch bestimmt keine fromme Seele.
Ein leises, aber unmissverständliches Ächzen ließ keinen Zweifel daran, dass die Insassin des Sarges gerade versuchte, einen Blick auf ihren kühnen Retter zu erhaschen, doch Bruder Lorenzo setzte sich rasch auf den Deckel, um ihn geschlossen zu halten, weil sein Instinkt ihm sagte, dass hier zwei junge Leute waren, die einander niemals kennenlernen durften. »Ähm«, stammelte er, fest entschlossen, seinem Gegenüber weiterhin freundlich zu begegnen, »wo findet denn Eure Schlacht statt, edler Ritter? Oder seid Ihr unterwegs, um das Heilige Land zu verteidigen?«
Der andere starrte ihn ungläubig an: »Wo seid Ihr denn her, lustiger Bruder? Ein mit Gott so gut bekannter Mann wie Ihr weiß doch gewiss, dass die Zeit der Kreuzzüge vorüber ist.« Er streckte den Arm in Richtung Siena aus. »Diese Hügel, diese Türme ... das ist mein Heiliges Land.«
»Dann bin ich ja aufrichtig froh«, beeilte sich Bruder Lorenzo zu antworten, »dass ich nicht mit bösen Absichten hergekommen bin!«
Der Ritter wirkte nicht überzeugt. »Darf ich fragen«, entgegnete er mit zusammengekniffenen Augen, »in welcher Mission Ihr nach Siena unterwegs seid? Was habt Ihr denn in dem Sarg dort?«
»Nichts!«
»Nichts?« Der andere blickte zu der am Boden liegenden Leiche hinunter. »Es sieht den Salimbenis gar nicht ähnlich, wegen nichts ihr Leben zu lassen. Bestimmt habt Ihr etwas sehr Begehrenswertes bei Euch?«
»Ganz und gar
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