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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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Geräuschpegel nach zu urteilen - direkt vor seiner Tür abspielte. Dabei musste er an den großartigen Tod von Julius Caesar denken, der von einem Rudel römischer Senatoren niedergestochen und höchst dekorativ gestorben war: Scharlachrot auf Marmor, harmonisch umrahmt von Säulen. Wie schön es doch wäre, wenn sich endlich einmal ein vornehmer Bürger Sienas zu einem solchen Tod durchringen könnte und dadurch ihm, Maestro Ambrogio, Gelegenheit gäbe, die Szene nach allen Regeln der Kunst auf eine hiesige Wand zu bannen.
    In dem Moment klopfte jemand gegen die Tür, und Dante fing an zu bellen.
    »Schhh«, versuchte Ambrogio den Hund zum Schweigen zu bringen, »ich rate dir, dich zu verstecken - nur für den Fall, dass es sich um den Gehörnten handelt. Ich kenne ihn wesentlich besser als du.«
    Sobald er die Tür öffnete, brach ein Wirbelwind aufgeregter Stimmen über den Maestro herein und riss ihn mitten in einen hitzigen Streit - bei dem es offenbar um etwas ging, das ins Haus getragen werden sollte.
    »Sagt ihnen, mein guter Bruder in Christus«, drängte ihn ein atemloser Mönch, »dass wir das alleine schaffen!«
    »Was denn?«, wollte Maestro Ambrogio wissen.
    »Den Sarg«, antwortete ein anderer, »mit dem toten Glöckner! Seht!«
    »Ich glaube, Ihr habt Euch in der Tür geirrt«, entgegnete Maestro Ambrogio, »denn den habe ich nicht bestellt.«
    »Ich bitte Euch«, flehte der Mönch, »lasst uns hinein. Ich werde Euch alles erklären.«
    Maestro Ambrogio blieb nichts anderes übrig, als zur Seite zu treten und den jungen Männern die Tür aufzuhalten, damit sie den Sarg hereintragen und mitten in seinem Atelier auf dem Boden abstellen konnten. Es überraschte ihn keineswegs, dass der junge Romeo Marescotti und seine Cousins - mal wieder - irgendetwas im Schilde führten. Was den Maestro jedoch verwirrte, war die Anwesenheit des händeringenden Mönchs.
    »Das ist der leichteste Sarg, den ich je getragen habe«, bemerkte einer von Romeos Kumpanen. »Euer Glöckner muss ein sehr schlanker Mann gewesen sein, Bruder Lorenzo. Seht zu, dass ihr nächstes Mal einen fetten nehmt, damit er in eurem zugigen Glockenturm einen besseren Stand hat.«
    »Das werden wir«, erwiderte Bruder Lorenzo mit rüder Ungeduld, »und nun danke ich Euch Herren für all Eure Dienste. Vor allem Euch, Messer Romeo, sei Dank dafür, dass Ihr uns - mir - das Leben gerettet habt! Hier ...« Er holte von irgendwo unter seiner Kutte eine kleine, verbeulte Münze heraus, »einen centesimo für Eure Mühe!«
    Die Münze hing eine Weile in der Luft, ohne entgegengenommen zu werden, bis Bruder Lorenzo sie am Ende zurück unter seine Kutte stopfte. Dabei glühten seine Ohren wie Kohlen, die plötzlich Zugluft bekommen hatten.
    »Ich wünsche mir von Euch nur eines«, verkündete Romeo, hauptsächlich aus Jux. »Zeigt uns, was in dem Sarg ist. Denn um einen Mönch, fett oder schlank, handelt es sich nicht, da bin ich sicher.«
    »Nein!« Bruder Lorenzo, der ohnehin schon einen verängstigten Eindruck machte, wirkte plötzlich panisch. »Das kann ich nicht zulassen. Die Jungfrau Maria sei meine Zeugin, wenn ich Euch, jedem von Euch, nun schwöre, dass der Sarg verschlossen bleiben muss oder eine große Katastrophe über uns alle hereinbrechen wird!«
    In dem Moment wurde Maestro Ambrogio bewusst, dass er sich noch nie mit den Gesichtszügen eines Vogels beschäftigt hatte. Ein junger, aus dem Nest gefallener Spatz mit zerzausten Federn und schimmernden, ängstlichen kleinen Knopfaugen ... genau so sah der junge Bruder aus, der da gerade vor ihm stand, in die Enge getrieben von Sienas verrufensten Katzen.
    »Nun kommt schon, Mönch«, sagte Romeo, »schließlich habe ich Euch heute Abend das Leben gerettet. Habe ich mir dadurch nicht Euer Vertrauen verdient?«
    »Ich fürchte«, wandte sich Maestro Ambrogio an Bruder Lorenzo, »nun müsst Ihr Eure Drohung wahrmachen und uns alle der besagten Katastrophe anheimfallen lassen. Die Ehre gebietet es.«
    Bruder Lorenzo schüttelte betrübt den Kopf. »Nun denn! Ich werde den Sarg öffnen. Aber gestattet mir, Euch vorher zu erklären ...« Für einen Moment wanderte sein Blick auf der Suche nach einer göttlichen Eingebung im Raum umher, dann nickte er und sagte: »Ihr habt recht, in dem Sarg liegt kein Mönch. Doch die Person, die stattdessen darin liegt, ist genauso heilig. Es handelt sich um die einzige Tochter meines großzügigen Gönners, und ...« - er räusperte sich, um dann in energischerem

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