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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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krank. Schwankend griff er nach meinem Arm. »An deiner Stelle«, fuhr er fort, »wäre ich sehr, sehr vorsichtig. Und ich würde niemandem trauen, der den Namen Salimbeni trägt.« Als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte, runzelte er die Stirn. »Du hältst mich für pazzo ... verrückt? Wir stehen hier am Grab einer jungen Frau, die viel zu früh gestorben ist. Sie war deine Mutter. Wie komme ich dazu, dir zu erzählen, wer ihr das angetan hat, und aus welchem Grund?« Er umklammerte meinen Arm noch fester. »Sie ist tot, und dein Vater ebenfalls. Das ist alles, was ich weiß. Trotzdem sagt mir mein altes Tolomei-Herz, dass du vorsichtig sein musst.«
     
    Während unseres letzten Highschool-Jahres hatten Janice und ich uns beide für die jährliche Theateraufführung gemeldet - wie es der Zufall wollte, handelte es sich um Romeo und Julia. Am Ende wurde Janice als Julia besetzt, während ich einen Baum im Obstgarten der Capulets spielen sollte. Natürlich verwendete meine Schwester mehr Zeit auf ihre Nägel als aufs Lernen ihrer Texte, so dass ich ihr jedes Mal, wenn wir die Balkonszene probten, das erste Wort ihres jeweiligen Einsatzes zuflüstern musste. Praktischerweise stand ich ja die ganze Zeit mit Ästen an den Armen auf der Bühne.
    Am Abend der Premiere aber war sie besonders gemein zu mir. Als wir in der Maske saßen, lachte sie ständig über mein braunes Gesicht und zog mir die Blätter aus dem Haar, während sie selbst hübsche blonde Zöpfe und rosige Wangen verpasst bekam - so dass ich nicht in der Stimmung war, ihr zu helfen, als schließlich die Balkonszene nahte. Stattdessen tat ich das genaue Gegenteil. Als Romeo fragte: »Wobei denn soll ich schwören?«, flüsterte ich: »Drei Worte!«
    Woraufhin Janice wie aus der Pistole geschossen sagte: »Drei Worte, Romeo, dann gute Nacht!« Damit brachte sie Romeo völlig aus dem Konzept, und die Szene endete in Verwirrung.
    Später, als ich in meiner Rolle als Kerzenständer in Julias Schlafzimmer posierte, ließ ich Janice neben Romeo aufwachen und viel zu früh sagen: »Auf! eile! fort von hier!«, was keinen besonders guten Ausgangston für den Rest der zärtlichen Szene lieferte. Es erübrigt sich fast hinzuzufügen, dass Janice derart wütend auf mich war, dass sie mich hinterher durch die ganze Schule jagte und lautstark schwor, mir die Augenbrauen abzurasieren. Zuerst war es nur Spaß gewesen, doch als sie sich am Ende auf dem Schulklo einsperrte und eine Stunde lang weinte, verging sogar mir das Lachen.
    Vor lauter Angst, ins Bett zu gehen und mich dem Schlaf und Janices Rasierer auszuliefern, saß ich noch lange nach Mitternacht im Wohnzimmer und sprach mit Tante Rose. Irgendwann kam Umberto mit einem Glas Vin Santo für uns beide herein. Ohne etwas zu sagen, reichte er uns die Gläser, und auch Tante Rose verlor kein Wort darüber, dass ich noch zu jung war, um Alkohol zu trinken.
    »Magst du dieses Stück?«, fragte sie stattdessen. »Du scheinst es auswendig zu kennen.«
    »Eigentlich mag ich es gar nicht so besonders«, gestand ich achselzuckend und nippte an meinem Drink. »Es ist einfach nur ... da, in meinem Kopf.«
    Tante Rose, die ebenfalls einen Schluck von ihrem Vin Santo genommen hatte, nickte bedächtig. »Deine Mutter war auch so. Sie kannte es in- und auswendig, war regelrecht ... besessen davon.«
    Ich hielt die Luft an, um ihren Gedankengang nicht zu unterbrechen. Wie gerne hätte ich ein klein wenig mehr über meine Mutter erfahren, bekam jedoch keine Gelegenheit dazu. Tante Rose blickte bloß stirnrunzelnd hoch, räusperte sich und nahm einen weiteren Schluck von dem Wein. Das war's. Es handelte sich dabei um eine der wenigen Informationen, die sie mir jemals unaufgefordert über meine Mutter verriet. Janice erzählte ich nichts davon. Unsere gemeinsame Besessenheit hinsichtlich Shakespeares Stück war ein kleines Geheimnis, dass ich mit meiner Mutter und niemandem sonst teilte, genauso, wie ich nie jemandem von meiner Angst erzählte, ich könnte wie meine Mutter mit fünfundzwanzig sterben.
     
    Nachdem Peppo mich vor dem Hotel Chiusarelli abgesetzt hatte, begab ich mich schnurstracks ins nächste Internetcafe und googelte Luciano Salimbeni, doch es war einiges an Verbalakrobatik erforderlich, bis ich auf eine Suchkombination kam, die zumindest ansatzweise brauchbare Ergebnisse lieferte. Erst nach gut einer Stunde und unzähligen Frustrationen wegen meiner mangelnden Italienischkenntnisse war ich mir ziemlich sicher, was

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