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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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Ton fortzufahren -, »sie ist vor zwei Tagen auf sehr tragische Weise ums Leben gekommen. Er hat mich mit ihrem Leichnam hergeschickt, um Euch, Maestro, zu bitten, ihre Züge in einem Gemälde festzuhalten, ehe sie für immer verloren sind.«
    »Vor zwei Tagen?«, fragte Maestro Ambrogio, nun ganz geschäftsmäßig, in entsetztem Ton. »Sie ist schon seit zwei Tagen tot? Mein lieber Freund ...« Ohne die Zustimmung des Mönchs abzuwarten, öffnete er den Deckel des Sarges, um sich den Schaden anzusehen. Zum Glück aber war der Leichnam des Mädchens noch nicht vom Tod gezeichnet. »Wie es scheint«, erklärte er freudig überrascht, »bleibt uns noch ein wenig Zeit. Trotzdem müssen wir sofort beginnen. Hat Euer Gönner besondere Wünsche hinsichtlich des Motivs geäußert? Normalerweise mache ich die übliche Jungfrau Maria, von der Taille aufwärts, und in diesem Fall bekämt Ihr von mir sogar noch ein Jesuskind umsonst dazu, weil Ihr eine so weite Anreise hattet.«
    »Ich ... ich glaube, dann nehme ich die übliche Jungfrau Maria«, antwortete Bruder Lorenzo mit einem nervösen Blick auf Romeo, der neben dem Sarg niederkniete, um das tote Mädchen zu bewundern, »und unseren göttlichen Erlöser, wenn es ihn schon umsonst dazugibt.«
    »Ahime!«, rief Romeo, ohne auf den warnenden Blick des Mönches zu achten. »Wie kann Gott so grausam sein?«
    »Nein!«, schrie Bruder Lorenzo, doch es war schon zu spät, der junge Mann hatte die Wange des Mädchens bereits berührt.
    »Solch Schönheit«, sagte er in zärtlichem Ton, »sollte niemals sterben. Sogar der Tod selbst hasst heute Abend sein Metier. Seht, er hat ihre Lippen noch nicht mit seinem violetten Hauch gestreift.«
    »Vorsicht!«, warnte ihn Bruder Lorenzo, der versuchte, den Deckel zu schließen, »Ihr wisst nicht, welch ansteckende Krankheit diese Lippen mit sich tragen!«
    »Wäre sie mein«, fuhr Romeo fort, während er den Mönch mit einer Hand an seinem Vorhaben hinderte und seiner eigenen Sicherheit keinerlei Beachtung schenkte, »würde ich ihr ins Paradies folgen und sie zurückholen. Oder für immer mit ihr dort bleiben.«
    »Ja-ja-ja«, meinte Bruder Lorenzo, der den Deckel nun gewaltsam schloss und dabei beinahe das Handgelenk des anderen einklemmte, »der Tod macht aus allen Männern große Liebende. Wären sie zu Lebzeiten der Damen doch auch so glühende Verehrer!«
    »Sehr wahr gesprochen, Bruder«, stimmte Romeo nickend zu, während er sich endlich wieder erhob. »Nun, für diesen einen Abend habe ich genug Trauriges gesehen und gehört. Das Wirtshaus ruft. Ich überlasse Euch Eurem tristen Geschäft und werde derweil einen Trinkspruch auf die Seele dieses armen Mädchens aussprechen. Besser gesagt werde ich gleich mehrere Gläser auf sie trinken, und wenn ich Glück habe, verfrachtet mich der Wein geradewegs ins Paradies, wo ich sie vielleicht persönlich treffe und ...«
    Bruder Lorenzo tat einen Satz nach vorne und zischte ohne ersichtlichen Grund: »Hütet Eure Zunge, Messer Romeo, ehe Ihr Euch versündigt!«
    Grinsend fuhr der junge Mann fort: »... ihr meine Ehrerbietung zollen kann.«
    Erst, nachdem die jungen Spitzbuben das Atelier endgültig verlassen hatten und das Klacken der Pferdehufe nicht mehr zu hören war, hob Bruder Lorenzo den Sargdeckel wieder an. »Nun ist die Luft rein«, verkündete er, »Ihr könnt herauskommen.«
    Jetzt endlich öffnete das Mädchen die Augen und setzte sich auf. Ihre Wangen wirkten vor Erschöpfung ganz hohl.
    »Allmächtiger Gott«, keuchte Maestro Ambrogio und bekreuzigte sich mit seinem Mörserstößel, »welch Hexenwerk ist das?«
    »Ich bitte Euch, Maestro«, erwiderte Bruder Lorenzo, während er dem Mädchen behutsam aufhalf, »uns zum Palazzo Tolomei zu begleiten. Diese junge Dame ist Messer Tolomeis Nichte Giulietta. Sie wurde das Opfer übler Missetaten, und ich muss sie so schnell wie möglich in Sicherheit bringen. Könnt Ihr uns helfen?«
    Maestro Ambrogio, der das alles erst einmal verdauen musste, starrte Mönch und Mädchen mit großen Augen an. Trotz allem, was Letztere durchgemacht hatte, hielt sie sich kerzengerade, ihr zerzaustes Haar schimmerte im Kerzenlicht, und ihre Augen leuchteten so blau wie der Himmel an einem wolkenlosen Tag. Zweifellos war sie das vollkommenste Westen, das der Maestro je gesehen hatte. »Darf ich fragen«, wandte er sich an den Mönch, »was Euch dazu bewogen hat, mir zu trauen?«
    Mit einer ausladenden Handbewegung deutete Bruder Lorenzo auf die sie

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