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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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sie!«
    »Könntet Ihr solch einem Schrein tatsächlich huldigen?«
    »Bin ich denn kein Mann? Allerdings empfinde ich als solcher gleichzeitig auch großen Kummer beim Anblick von so viel verschwendeter Schönheit. Wenn man den Tod doch nur dazu bringen könnte, sie wieder herauszugeben!«
    »Was wäre dann?« Der Maestro brachte ein angemessenes Stirnrunzeln zustande. »Was tätet Ihr, wenn dieser Engel eine lebende, atmende Frau wäre?«
    Romeo holte Luft, fand jedoch nicht gleich die richtigen Worte. »Ich ... ich weiß nicht. Sie lieben natürlich. Ich weiß, wie man eine Frau liebt. Ich habe schon viele geliebt.«
    »Vielleicht ist es dann ja ganz gut, dass Ihr es nicht mit einer lebenden Frau zu tun habt. Denn ich glaube, bei dieser jungen Dame wären besondere Anstrengungen erforderlich. Ehrlich gesagt glaube ich, dass man, um einer solchen Dame den Hof zu machen, durch die Vordertür kommen müsste, und nicht wie ein nächtlicher Dieb im Gebälk herumkriechen dürfte.« Als der Maestro bemerkte, dass sein Gesprächspartner merkwürdig schweigsam geworden war und sich außerdem ein Hauch von Ocker über dessen edles Gesicht zog, fuhr er in entschiedenerem Ton fort. »Es gibt Lust, müsst Ihr wissen, und es gibt Liebe.
    Die beiden sind miteinander verwandt, aber dennoch grundverschiedene Dinge. Um dem einen zu frönen, braucht man nur honigsüße Worte von sich zu geben und die Kleider abzulegen. Dagegen muss ein Mann, um das andere zu erlangen, seine eigene Rippe opfern. Zum Dank wird seine Frau die Sünde Evas ungeschehen machen und ihn zurück ins Paradies führen.«
    »Aber woher weiß ein Mann, wann er seine Rippe opfern soll? Ich habe viele Freunde, denen keine einzige Rippe geblieben ist, aber im Paradies waren sie trotzdem nie.«
    Der ernste Gesichtsausdruck des jungen Mannes veranlasste Maestro Ambrogio zu einem Nicken. »Ihr habt es selbst gesagt«, antwortete er. »Ein Mann weiß es. Ein Junge nicht.«
    Romeo musste laut lachen. »Ich bewundere Euch«, rief er aus, während er dem Maestro eine Hand auf die Schulter legte, »Ihr habt Mut!«
    »Was ist so bewundernswert an ein bisschen Mut?«, konterte der Maler, nun noch kühner, weil er sich in seiner Rolle als Ratgeber akzeptiert sah. »Ich nehme an, diese eine Tugend hat mehr brave Männer das Leben gekostet als alle Laster zusammengenommen.«
    Wieder musste Romeo laut lachen, als würde ihm die Freude solch frecher Widerrede nicht oft zuteil. Der Maestro ertappte sich dabei, dass er den jungen Mann plötzlich und völlig unerwartet sympathisch fand.
    »Ich höre oft Männer sagen, dass sie alles für eine Frau tun würden«, fuhr Romeo fort. Offenbar konnte er sich von dem Thema noch nicht lösen. »Aber wenn die Dame dann ihre erste Bitte äußert, fangen sie an zu jammern und schleichen sich wie Hunde davon.«
    »Und Ihr? Schleicht Ihr Euch auch davon?«
    Romeo ließ eine ganze Reihe gesunder Zähne blitzen, was durchaus erstaunlich war für jemanden, der Gerüchten zufolge Faustkämpfe provozierte, wo immer er auftauchte. »Nein«, antwortete er lächelnd, »ich habe eine gute Nase für Frauen, die nicht mehr verlangen, als ich Ihnen geben möchte. Aber wenn eine solche Frau existierte ...« - er nickte zu dem Bild hinüber -, »dann würde ich gerne all meine Rippen entzweibrechen, um sie zu bekommen. Ich würde sogar durch die Vordertür eintreten, wie Ihr sagt, und um ihre Hand anhalten, ehe ich sie auch nur berührt hätte. Und nicht nur das, nein, ich würde sie zu meiner wahren und einzigen Frau machen und nie wieder eine andere ansehen. Ich schwöre es! Sie wäre es wert, da bin ich mir sicher.«
    Der Maestro, der sich über diese Worte freute und so gerne glauben wollte, dass seine Kunst den jungen Mann tief genug bewegt hatte, um ihn von dessen bisher so liederlicher Lebensweise abzubringen, nickte voller Zufriedenheit über sein Werk dieser Nacht. »Sie ist es in der Tat wert.«
    Romeo wandte den Kopf. Seine Augen waren schmal geworden. »Ihr sprecht, als wäre sie noch am Leben!«
    Maestro Ambrogio blieb schweigend sitzen und studierte das Gesicht des jungen Mannes, um zu ergründen, wie ernst es diesem mit seinem Entschluss war. »Ihr Name«, sagte er schließlich, »lautet Giulietta. Ich glaube, dass Ihr, mein Freund, sie heute Abend durch Eure Berührung von den Toten auferweckt habt. Nachdem Ihr in das Gasthaus aufgebrochen wart, sah ich ihre liebliche Gestalt aus eigener Kraft aus diesem Sarg steigen ...«
    Romeo sprang von

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