Julia
entschiedenen Nicken verlieh sie ihren Worten Nachdruck. »Ich glaube, aus diesem Grund ist die Contraden-Tradition hier noch heute so stark ausgeprägt. Das Engagement der alten Stadtviertel-Polizei hat die Republik Siena letztendlich erst möglich gemacht.
Wenn man die bösen Jungs in Schach halten will, muss man dafür sorgen, dass die guten bewaffnet sind.«
Ich kommentierte ihre Schlussfolgerung mit einem Lächeln und bemühte mich nach Kräften um eine unbeteiligte Miene -als hätte ich selbst kein Pferd im Rennen. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, Eva Maria darüber aufzuklären, dass ich nichts von Waffen hielt und die sogenannten guten Junges meiner Erfahrung nach nicht besser waren als die bösen.
»Hübsch, nicht wahr?«, fuhr Eva Maria fort und nickte zu dem Fresko hinüber. »Eine Stadt, die ihren Frieden gefunden hat.«
»Ja, wahrscheinlich«, räumte ich ein, »wobei ich sagen muss, dass die Leute nicht besonders glücklich aussehen. Diese hier zum Beispiel ...« - ich deutete auf eine junge Frau, die in einer Gruppe von tanzenden Mädchen festzustecken schien -, »sie wirkt auf mich ... ich weiß auch nicht. In Gedanken versunken.«
»Vielleicht hat sie den Hochzeitszug vorbeiziehen sehen?«, mutmaßte Eva Maria und nickte zu einer Menschenschar hinüber, die einem Pferd mit einer Braut folgte. Zumindest sah es danach aus. »Und vielleicht musste sie dabei an eine verlorene Liebe denken?«
»Sie starrt auf die Trommel«, stellte ich fest, wobei ich erneut auf die entsprechende Stelle deutete, »oder das Tamburin. Und die anderen Tänzerinnen schauen ... böse. Sehen Sie nur, wie sie die junge Frau beim Tanzen umringen, so dass sie ihnen nicht entwischen kann. Und eine von ihnen starrt ihr genau auf den Bauch.« Ich warf einen Blick zu Eva Maria hinüber, doch es war schwer, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. »Aber womöglich bilde ich mir das alles nur ein.«
»Nein«, entgegnete sie leise, »Maestro Ambrogio will uns ganz offensichtlich auf sie aufmerksam machen. Er hat diese Gruppe tanzender Frauen größer gemalt als alles andere auf dem Bild. Und wenn man genauer hinsieht, stellt man fest, dass die junge Frau als Einzige ein Diadem im Haar trägt.«
Ich kniff die Augen zusammen. Sie hatte recht. »Wer war sie? Ist das bekannt?«
Eva Maria zuckte mit den Achseln. »Offiziell weiß man nichts darüber. Aber unter uns gesagt...« - sie beugte sich zu mir herüber und sprach in noch leiserem Ton weiter - »halte ich sie für Ihre Ahnin. Ihr Name war Giulietta Tolomei.«
Ich war so schockiert, sie den Namen - meinen Namen - aussprechen und genau den gleichen Gedanken formulieren zu hören, den ich bei meinem Telefonat mit Umberto geäußert hatte, dass ich einen Moment brauchte, bis ich ihr die einzig logische Frage stellen konnte: »Woher um alles in der Welt wissen Sie das? ... Ich meine, dass sie meine Ahnin ist?«
Eva Maria musste fast lachen. »Liegt das nicht auf der Hand? Warum sonst hätte Ihre Mutter Sie nach ihr benennen sollen? Außerdem weiß ich es von Ihrer Mutter selbst - Sie stammen in direkter Linie von Giulietta und Giannozza Tolomei ab.«
Obwohl ich diese Aussage - die sie noch dazu mit solcher Entschiedenheit äußerte - höchst aufregend fand, war das fast mehr Information, als ich auf einmal fassen konnte. »Mir war nicht klar, dass Sie meine Mutter gekannt haben«, stieß ich hervor. Ich fragte mich, warum sie mir das nicht schon eher erzählt hatte.
»Sie war einmal bei uns. Mit Ihrem Vater. Damals waren die beiden noch nicht verheiratet.« Eva Maria legte eine Pause ein. »Sie war noch sehr jung, jünger als Sie. Obwohl auf unserer Party um die hundert Leute waren, sprachen wir den ganzen Abend nur über Maestro Ambrogio. Alles, was ich Ihnen gerade erzählt habe, weiß ich von den beiden. Sie waren sehr gebildet, sehr interessiert an unseren Familien. Wie die Dinge dann weitergingen, fand ich sehr traurig.«
Wir standen einen Moment lang schweigend da. Eva Maria betrachtete mich mit einem verhaltenen Lächeln, als wüsste sie, dass mir eine Frage auf der Zunge brannte, ich es aber nicht fertigbrachte, sie ihr zu stellen, und zwar: In welcher Beziehung stand sie - wenn überhaupt - zu dem Schurken Luciano Salimbeni, und wie viel wusste sie über den Tod meiner Eltern?
»Ihr Vater«, fuhr Eva Maria fort, so dass mir gar keine Zeit für Fragen blieb, »war der Überzeugung, dass Maestro Ambrogio in diesem Gemälde eine Geschichte versteckt hat. Eine Tragödie,
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