Julia
wäre.
»Findest du nicht«, fragte Eva Maria, die das Knistern zwischen uns völlig falsch deutete, »dass Giulietta heute Abend sehr hübsch aussieht?«
Alessandro brachte ein Lächeln zustande. »Ganz bezaubernd.«
»Si-si«, mischte sich der Präsident ein, »aber wer bewacht unser Geld, wenn du hier bist?«
»Die Geister der Salimbenis«, antwortete Alessandro, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen, »eine sehr furchterregende Truppe.«
»Basta!« Obwohl Eva Maria anzusehen war, dass sie sich insgeheim über seine Worte freute, setzte sie eine entrüstete Miene auf und verpasste ihm mit einem zusammengerollten Programmheft einen Klaps auf die Schulter. »Geister werden wir alle noch früh genug. Heute feiern wir das Leben.«
Nach dem Konzert bestand Eva Maria darauf, dass wir drei gemeinsam essen gingen. Als ich protestierte, spielte sie ihre Geburtstagskarte aus und erklärte, an diesem besonderen Abend - »an dem ich in der ebenso erhabenen wie erbärmlichen Komödie des Lebens eine weitere Seite aufschlage« - sei es ihr einziger Wunsch, mit zwei von ihren Lieblingsmenschen in ihrem Lieblingsrestaurant zu speisen. Seltsamerweise erhob Alessandro keinerlei Einwände. In Siena war es offensichtlich nicht üblich, seiner Patin an ihrem Jubeltag zu widersprechen.
Eva Marias Lieblingsrestaurant lag in der Via delle Campane, gleich außerhalb der Contrada dell'Aquila, also des Adler-Viertels. Ihr Lieblingstisch befand sich allem Anschein nach auf der etwas erhöht gelegenen Terrasse mit Blick auf den Blumenladen gegenüber, der gerade schloss.
»Demnach«, wandte sie sich an mich, nachdem sie eine Flasche Prosecco und einen Teller Antipasti bestellt hatte, »mögen Sie also keine Opern!«
»Doch, natürlich!«, protestierte ich. Auf der Terrasse saß man ein wenig beengt, meine übereinandergeschlagenen Beine passten kaum unter den Tisch. »Ich liebe die Oper. Der Haushälter meiner Tante hat uns ständig Opern vorgespielt, vor allem Aida. Ich finde nur ... Aida soll doch eine äthiopische Prinzessin sein, und nicht ein extrabreites Busenwunder Mitte fünfzig. Tut mir leid.«
Eva Maria lachte erheitert. »Tun Sie, was Sandro immer tut. Schließen Sie die Augen.«
Ich sah Alessandro an. Er hatte im Konzert hinter mir gesessen, und ich hatte die ganze Zeit seinen Blick gespürt. »Warum? Deswegen singt immer noch die gleiche Frau.«
»Aber die Stimme kommt aus der Seele!«, argumentierte Eva Maria in seinem Namen, während sie sich zu mir herüberbeugte, »man muss nur richtig zuhören, dann sieht man Aida so, wie sie ist.«
»Das ist eine sehr großzügige Einstellung.« An Alessandro gewandt, fügte ich hinzu: »Sind Sie immer so großzügig?«
Er gab mir keine Antwort. Das war auch gar nicht nötig.
»Großmut«, meinte Eva Maria, ehe sie den Prosecco probierte und für genießenswert befand, »ist die größte aller Tugenden. Haltet euch von geizigen Menschen fern, sie sind in kleinen Seelen gefangen.«
»Laut dem Haushälter meiner Tante«, entgegnete ich, »ist Schönheit die größte Tugend. Allerdings würde er wahrscheinlich sagen, dass Großzügigkeit auch eine Art von Schönheit ist.«
»Schönheit ist Wahrheit«, meldete sich endlich auch Alessandro zu Wort, »Wahrheit ist schön. Zumindest, wenn man dem Dichter Keats glaubt. Wenn man so lebt, ist das Leben ganz einfach.«
»Tun Sie das nicht?«
»Ich bin doch keine Urne.«
Ich musste lachen, doch er selbst verzog keine Miene.
Obwohl Eva Maria ganz offensichtlich wollte, dass Alessandro und ich Freunde wurden, konnte sie nicht anders, als sich wieder ins Gespräch einzumischen. »Erzählen Sie uns mehr von Ihrer Tante!«, drängte sie mich. »Warum, glauben Sie, hat sie Ihnen nie erzählt, wer Sie sind?«
Ich blickte von einem zum anderen, weil ich spürte, dass sie über meinen Fall gesprochen hatten und unterschiedlicher Meinung gewesen waren. »Keine Ahnung. Ich glaube, sie hatte Angst, dass ... oder vielleicht dachte sie ...« Ich blickte zu Boden. »Ich weiß es nicht.«
»In Siena«, meinte Alessandro und tat dabei, als wäre er sehr mit seinem Wasserglas beschäftigt, »spielt Ihr Name eine große Rolle.«
»Namen, Namen, Namen!«, seufzte Eva Maria. »Ich verstehe einfach nicht, warum Ihre Tante - Rosa? - nicht schon viel früher mal mit Ihnen nach Siena gereist ist.«
»Vielleicht hatte sie Angst«, antwortete ich, diesmal in schärferem Ton, »dass die Person, die meine Eltern getötet hat, auch mich töten
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