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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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Freunde.«
    Etwa zehn Minuten lang schafften wir es, uns wie zivilisierte Menschen zu unterhalten. Dann entschuldigte sich Eva Maria, weil sie zur Toilette musste, so dass Alessandro und ich uns plötzlich allein ausgeliefert waren. Als ich zu ihm hinübersah, ertappte ich ihn dabei, wie er mich abschätzend musterte, und für den Bruchteil einer Sekunde brachte ich es fertig, mir einzureden, dass er dieses ganze Katz-und-Maus-Spiel nur inszenierte, um herauszufinden, ob ich genug Elan besaß, um seine Bettgespielin der Woche zu werden. Na dann viel Spaß, dachte ich. Was auch immer die Katze vorhaben mochte, sie würde eine böse Überraschung erleben.
    Ich schnappte mir eine Scheibe Wurst. »Glauben Sie an Wiedergutmachung?«
    »Mir ist egal«, antwortete Alessandro, wobei er den Vorspeisenteller in meine Richtung schob, »was Sie in Rom oder sonstwo gemacht haben. Aber Siena ist mir nicht egal. Also erzählen Sie mir, warum Sie hier sind.«
    »Ist das jetzt ein Verhör?«, fragte ich mit vollem Mund. »Sollte ich vielleicht besser meinen Anwalt anrufen?«
    Er beugte sich vor und erklärte mit leiser Stimme: »Ich könnte dafür sorgen, dass Sie im Gefängnis landen, und zwar so schnell ...«Er schnippte direkt vor meiner Nase mit den Fingern. »Wollen Sie das wirklich?«
    »Wissen Sie«, antwortete ich, während ich mir in der Hoffnung, er würde nicht bemerken, wie sehr meine Hände zitterten, noch mehr Essen auf den Teller lud, »solche Machtspielchen haben bei mir noch nie funktioniert. Bei Ihren Vorfahren mag so etwas ja gewirkt haben, aber wenn Sie sich erinnern, waren meine Vorfahren davon nie besonders beeindruckt.«
    »Na schön ...« Er lehnte sich zurück und wechselte die Taktik. »Was halten Sie davon: Ich lasse Sie in Ruhe, aber nur unter einer Bedingung. Dass Sie sich von Eva Maria fernhalten.«
    »Warum sagen Sie das nicht ihr?«
    »Sie ist eine ganz besondere Frau, und ich möchte nicht, dass sie leiden muss.«
    Ich legte die Gabel weg. »Aber ich möchte das, ja? Was denken Sie eigentlich von mir?«
    »Wollen Sie das wirklich wissen?« Alessandro musterte mich von Kopf bis Fuß, als wäre ich ein Kunstobjekt, das völlig überteuert zum Kauf angeboten wurde. »Meiner Meinung nach sind Sie eine schöne, intelligente ... großartige Schauspielerin ...« Angesichts meiner verwirrten Miene runzelte er die Stirn und fuhr fort: »Ich glaube, jemand hat Ihnen viel Geld dafür bezahlt, dass Sie sich hier als Giulietta Tolomei ausgeben ...«
    »Was?«
    »... und meiner Meinung nach gehört es zu Ihren Aufgaben, sich an Eva Maria heranzumachen. Aber glauben Sie mir ... das werde ich nicht zulassen.«
    Ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte. Zum Glück waren seine Anschuldigungen derart surreal, dass ich viel zu überrascht war, um ernstlich beleidigt zu sein. »Warum«, fragte ich schließlich, »glauben Sie mir nicht, dass ich wirklich Giulietta Tolomei bin? Weil ich keine meerblauen Augen habe?«
    »Wollen Sie es wirklich wissen? Gut.« Er beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Giulietta Tolomei ist tot.«
    »Wie erklären Sie sich dann«, konterte ich, während ich mich ebenfalls vorbeugte, »dass ich hier vor Ihnen sitze?«
    Er sah mich eine ganze Weile an, als suchte er in meinem Gesicht nach etwas, was er dann aber wohl nicht fand. Am Ende wandte er mit zusammengekniffenen Lippen den Blick ab. Mir war klar, dass ich ihn aus irgendeinem Grund nicht überzeugt hatte und mir das wahrscheinlich auch nie gelingen würde.
    »Wissen Sie, was?« Ich schob meinen Stuhl zurück und stand auf. »Ich werde Ihren Rat befolgen und mich hiermit aus Eva Marias Gesellschaft entfernen. Richten Sie Ihr meinen Dank für das Konzert und das Essen aus, und sagen Sie ihr, dass sie ihre Klamotten zurückhaben kann, wann immer sie möchte, weil ich dafür sowieso keine Verwendung mehr habe.«
    Ich wartete seine Antwort nicht ab, sondern stolzierte erhobenen Hauptes von der Terrasse und verließ das Restaurant, ohne mich noch einmal umzublicken. Sobald ich um die erste Ecke gebogen und außer Sichtweite war, spürte ich, wie mir vor Wut die Tränen in die Augen schossen, und begann trotz meiner hohen Schuhe zu rennen, so schnell ich konnte. Das Letzte, was ich jetzt wollte, war, dass Alessandro mich einholte und sich wegen seines rüden Verhaltens bei mir entschuldigte - falls er überhaupt den Anstand besaß, es zu versuchen.
     
    Als ich an diesem Abend zurück zum Hotel ging, blieb ich möglichst

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