Julia
ich bereits, dass ich ihr meine Geheimnisse verraten hatte. »Berühmte Leute leben ewig!«
Woraufhin Janice bloß verächtlich meinte: »Kann sein, aber wer möchte schon eine Mumie küssen?«
Trotz der Bemühungen meiner Schwester war es also kein besonderer Höhenflug meiner Phantasie, sondern reine Gewohnheit, dass ich nun einen leichten Hauch von Erregung empfand, als mir klar wurde, dass ich dem Geist Romeos in seinem eigenen Haus hinterherschlich. Damit diese schöne Beziehung zwischen uns weiterbestehen konnte, brauchte er lediglich zu bleiben, wie er war: tot.
Eva Maria hielt im Konzertsaal Hof, umgeben von Männern in dunklen Anzügen und Frauen in glitzernden Kleidern. Der hohe Raum war in den Farben von Milch und Honig gehalten. Hier und dort schimmerten goldene Akzente. Etwa zweihundert Stühle standen für das Publikum bereit, und nach der Zahl der bereits versammelten Leute zu urteilen, würde es kein Problem werden, den Saal zu füllen. Am anderen Ende waren Mitglieder eines Orchesters dabei, ihre Instrumente zu stimmen. Eine dicke Frau in einem roten Kleid sah mir bedenklich danach aus, als wollte sie gleich lossingen. Wie fast überall in Siena gab es hier nichts Modernes, was das Auge störte, oder höchstens mal einen rebellischen Teenager, der unter seiner ordentlich gebügelten Hose Turnschuhe trug.
Sobald Eva Maria mich hereinkommen sah, forderte sie mich mit einem hoheitsvollen Winken auf, zu ihrer Gefolgschaft zu stoßen. Während ich auf die Gruppe zusteuerte, bekam ich mit, wie sie mich mit Superlativen vorstellte, die ich nicht verdient hatte, und binnen weniger Minuten pflegte ich höchst freundschaftlichen Umgang mit einigen der ganz hohen Tiere im Kulturleben Sienas, unter anderem dem Präsidenten der Monte-dei-Paschi-Bank im Palazzo Salimbeni.
»Monte Paschi«, erklärte mir Eva Maria, »ist der größte Förderer der Künste in Siena. Nichts von dem, was Sie um sich herum sehen, wäre ohne die finanzielle Unterstützung der Stiftung möglich gewesen.«
Der Präsident musterte mich mit einem leichten Lächeln, und seine Frau, die - dekorativ um seinen Ellbogen drapiert - neben ihm stand, folgte seinem Beispiel. Genau wie Eva Maria wirkte sie viel eleganter als andere Frauen ihres Alters. Obwohl ich dem Anlass entsprechend gekleidet war, verriet mir ihr Blick, dass ich noch eine Menge zu lernen hatte. Sie flüsterte ihrem Mann sogar etwas Entsprechendes zu - jedenfalls bildete ich mir das ein.
»Meine Frau glaubt, dass Sie da anderer Meinung sind«, meinte der Präsident in neckendem Ton, obwohl er sich mit seinem Akzent und seiner dramatischen Satzmelodie eher anhörte, als zitierte er einen poetischen Liedtext. »Finden Sie, wir sind zu ...« - er suchte nach dem richtigen Wort - »stolz auf uns selbst?«
»Nicht unbedingt.« Ich spürte, wie ich rote Wangen bekam, weil sie mich weiterhin so prüfend musterten. »Es erscheint mir nur ein wenig ... paradox, dass der Fortbestand des Hauses der Marescottis nun vom guten Willen der Salimbenis abhängt.«
Der Präsident quittierte mein Argument mit einem leichten Nicken, als wollte er damit bestätigen, dass Eva Maria mit ihren Superlativen nicht übertrieben hatte. »Paradox, in der Tat.«
»Aber die Welt«, sagte eine Stimme hinter mir, »ist voller Paradoxe.«
»Alessandro!«, rief der Präsident, plötzlich ganz fröhlich und locker, »du musst unbedingt Signorina Tolomei kennenlernen. Sie ist gerade sehr ... streng mit uns allen. Insbesondere mit dir.«
»Natürlich ist sie das.« Alessandro griff nach meiner Hand und küsste sie mit mokanter Ritterlichkeit. »Denn wäre sie es nicht, würden wir ihr nie abnehmen, das sie tatsächlich eine Tolomei ist.« Er sah mir direkt in die Augen, ehe er meine Hand wieder losließ. »Habe ich nicht recht, Miss Jacobs?«
Ein seltsamer Moment. Er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, mich bei dem Konzert zu treffen, und seine Reaktion war für keinen von uns beiden schmeichelhaft. Allerdings konnte ich es ihm kaum verübeln, dass er mich in die Mangel nahm, schließlich hatte ich ihn nie zurückgerufen, nachdem er vor drei Tagen in meinem Hotel gewesen war. Seitdem hatte mir seine Visitenkarte wie ein schlechtes Omen aus einem Glückskeks von meinem Schreibtisch entgegengestarrt. Erst heute Morgen hatte ich sie zerrissen und in den Müll geworfen, weil ich zu dem Schluss gekommen war, dass er mich schon längst verhaftet hätte, wenn es ihm tatsächlich darum gegangen
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