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Julia

Julia

Titel: Julia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Fortier
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suchte sie darunter nach etwas weniger Weichem, doch Romeo war zu abgelenkt, um sich dagegen zu wehren.
    Ihm ging es an diesem Abend nur darum, die junge Frau zu finden, der er das Leben gerettet hatte und deren liebliche Züge Maestro Ambrogio in seinem wunderbaren Porträt so lebensnah eingefangen hatte.
    Zwar hatte der Maestro sich geweigert, ihm ihren Namen zu verraten, aber Romeo brauchte nicht lange, um ihn herauszufinden. Obwohl seit der Ankunft des Mädchens erst eine Woche vergangen war, kursierte bereits in der ganzen Stadt das Gerücht, Messer Tolomei habe am Sonntagmorgen eine unbekannte Schöne mit zur Messe gebracht - eine unbekannte Schöne, deren Augen so blau waren wie das Meer und die Giulietta hieß.
    Während er den Blick ein weiteres Mal durch den Raum schweifen ließ - ein Füllhorn voller schöner Frauen, die gerade in ihren bunten Kleidern durch den Raum wirbelten, um anschließend von den bereitstehenden Männern aufgefangen zu werden -, fragte sich Romeo verzweifelt, warum das Mädchen nirgendwo zu sehen war. Eine Schönheit wie sie flog doch bestimmt von Arm zu Arm, so dass sie keine Zeit hätte, sich zu setzen. Die einzige Herausforderung bestünde darin, sie all den anderen nach ihrer Aufmerksamkeit lechzenden jungen Männern zu entreißen. Derartigen Herausforderungen hatte Romeo sich schon viele Male gestellt. Er genoss dieses Spiel.
    Zunächst bewies er immer viel Geduld, wie ein griechischer Prinz vor den Mauern von Troja, Geduld und Hartnäckigkeit, während all die anderen Bewerber sich einer nach dem anderen lächerlich machten. Dann kam der erste Kontakt, der neckende Hauch eines wissenden Lächelns, dessen Sinn darin bestand, sich mit ihr gegen die anderen zu verbünden. Später folgte ein langer, ernster Blick quer durch den Raum, und wenn sich ihre Hände in der Kette des Tanzes dann das nächste Mal berührten ... bei Gott, dann schlug ihr das Herz sicher so heftig in der Brust, dass er es bis hinauf in ihren nackten Hals pochen sehen könnte. Dort, genau dort wollte er seinen ersten Kuss platzieren ...
    Doch selbst Romeos homerische Geduld hatte irgendwann ein Ende. Ein Lied nach dem anderen ließ die Tanzenden wie Himmelskörper kreisen und in allen möglichen Konstellationen aufeinandertreffen - mit Ausnahme der einen, auf die er so sehr hoffte. Da alle Gäste Masken trugen, konnte er nicht gänzlich sicher sein, doch nach dem zu urteilen, was vom Haar und vom Lächeln der Frauen zu sehen war, befand sich das Mädchen, dem er den Hof machen wollte, nicht unter ihnen. Sie an diesem Abend zu verfehlen wäre ein Desaster, denn einzig und allein ein Maskenball bot ihm die Möglichkeit, sich unerkannt im Palazzo Tolomei aufzuhalten. Ansonsten würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als unter ihrem Balkon - wo auch immer er sich befinden mochte - Serenaden zu singen, noch dazu mit einer Stimme, die der Schöpfer keineswegs zum Gesang bestimmt hatte.
    Natürlich bestand die Gefahr, dass die Gerüchte ihn genarrt hatten und das Mädchen mit den blauen Augen, über das die Leute seit der Sonntagsmesse sprachen, eine andere gewesen war. In diesem Fall wäre sein Gebalze auf Messer Tolomeis Tanzboden reine Zeitverschwendung. Das Mädchen, das er hier treffen wollte, lag wahrscheinlich längst in irgendeinem anderen Haus der Stadt in ihrem Bett und schlummerte süß. Romeo befürchtete bereits, dass dem tatsächlich so war, als er plötzlich - mitten in einer galanten Verbeugung im Rahmen der ductia -ganz stark das Gefühl hatte, beobachtet zu werden.
    Mit einer Drehung, die an dieser Stelle des Tanzes eigentlich nicht vorkam, ließ Romeo den Blick durch den ganzen Saal schweifen. Endlich sah er es: Ein Antlitz, halb von Haar verhüllt, blickte aus dem Schatten der Loggia im ersten Stock direkt zu ihm hinunter. Doch kaum hatte er die ovale Form als das Gesicht einer Frau erkannt, zog sie sich auch schon in die Dunkelheit zurück, als fürchtete sie, entdeckt zu werden.
    Vor Aufregung ganz rot im Gesicht, wirbelte er wieder zu seiner Tanzpartnerin herum. Obwohl ihm Fortuna nur einen kurzen Blick auf die junge Dame oben gewährt hatte, zweifelte er in seinem Herzen keine Sekunde daran, dass es sich dabei um die liebliche Giulietta handelte. Noch dazu hatte sie ihn angestarrt, als wusste auch sie, wer er war und warum er sich hier aufhielt.
    Eine weitere ductia zwang ihn, in hoheitsvoller Haltung und mit kosmischer Langsamkeit den Raum zu umkreisen, dann folgte eine Runde estampie.

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