Julia
das werdet Ihr mir alles besorgen. Heimlich, so dass niemand etwas davon mitbekommt. Darum wollte ich Euch ohnehin bitten, damit ich endlich an meine arme Schwester schreiben kann ...« Sie sah Bruder Lorenzo erwartungsvoll an, als rechnete sie damit, dass er schon parat stand, ihren Auftrag auszuführen. Als sie merkte, dass er stattdessen missbilligend die Stirn runzelte, hob sie ratlos die Hände. »Was ist denn nun schon wieder?«
»Ich kann dieses Unterfangen nicht befürworten«, brummte er kopfschüttelnd. »Eine unverheiratete Frau sollte nicht auf einen heimlich überbrachten Brief antworten. Insbesondere ...«
»Aber eine verheiratete schon?«
»... insbesondere, wenn man bedenkt, wer der Absender des Briefes ist. Als alter, treuer Freund muss ich Euch vor Männern wie Romeo Marescotti warnen und ... Moment!« Bruder Lorenzo hielt Giulietta mit einer energischen Handbewegung davon ab, ihn zu unterbrechen. »Ja, ich gebe Euch recht. Er besitzt durchaus einen gewissen Charme, aber ich bin mir sicher, dass er in den Augen Gottes hässlich ist.«
Giulietta seufzte. »Er ist nicht hässlich. Ihr seid nur neidisch.«
»Neidisch?« Der Mönch schnaubte verächtlich. »Ich lege keinen Wert auf ein schönes Äußeres, denn es ist nur fleischlich und währt nicht länger als von der Wiege bis zum Grab. Nein, ich wollte damit sagen, dass seine Seele hässlich ist.«
»Wie könnt Ihr so über den Mann sprechen«, gab Giulietta zurück, »der uns das Leben gerettet hat? Einen Mann, dem Ihr vorher noch nie begegnet seid und über den Ihr nicht das Geringste wisst!«
Bruder Lorenzo hob warnend den Zeigefinger. »Ich weiß genug, um seinen Untergang vorhersagen zu können. Es gibt auf dieser Welt gewisse Pflanzen und Kreaturen, die keinem anderen Zweck dienen, als allem, womit sie in Berührung kommen, Schmerz und Elend zu bescheren. Seht Euch doch an! Schon jetzt leidet Ihr unter dieser Verbindung.«
»Findet Ihr nicht...«, begann Giulietta mit zitternder Stimme, hielt dann jedoch einen Moment inne, um in entschiedenerem Ton fortzufahren, »findet Ihr nicht, dass seine Freundlichkeit uns gegenüber sämtliche schlechten Eigenschaften ausgelöscht hat, die er vorher besessen haben mag?« Als sie sah, dass der Mönch immer noch eine ablehnende Miene machte, fügte sie ganz ruhig hinzu: »Gewiss hätte der Himmel Romeo nicht als unseren Retter auserkoren, wenn es nicht Gottes Wunsch gewesen wäre, ihn zu bekehren.«
Erneut hob Bruder Lorenzo seinen warnenden Zeigefinger. »Gott ist ein himmlisches Wesen und hat als solches keine Wünsche.«
»Mag sein, aber ich habe welche. Ich wünsche mir, glücklich zu werden.« Giulietta presste den Brief an ihr Herz. »Ich weiß, was Ihr denkt. Als alter und treuer Freund wollt Ihr mich nur beschützen. Weil Ihr glaubt, dass Romeo mir Schmerz zufügen wird. Ihr glaubt, dass eine große Liebe zugleich auch immer den Samen für großes Leid in sich trägt. Nun, vielleicht habt Ihr recht. Vielleicht verzichten weise Menschen auf das eine, um vor dem anderen bewahrt zu bleiben. Mir aber wäre es lieber, man würde mir die Augen in den Höhlen verbrennen, als ohne auf die Welt gekommen zu sein.«
Erst nach vielen Wochen und Briefen sahen Giulietta und Romeo sich wieder. In der Zwischenzeit schwoll der Ton ihrer Korrespondenz zu einem inbrünstigen Crescendo an und gipfelte - trotz Bruder Lorenzos verzweifelter Versuche, ihre Gefühle zu dämpfen - in einem gegenseitigen Schwur ewiger Liebe.
Die einzige andere Person, die von Giuliettas Gefühlen wusste, war ihre Zwillingsschwester Giannozza - die Einzige aus ihrer Familie, die Giulietta noch geblieben war, nachdem die Salimbenis ihr Zuhause verwüstet hatten. Giannozza war im Vorjahr verheiratet worden und zu ihrem Mann in den Süden gezogen, doch da die beiden Mädchen sich immer sehr nahegestanden hatten, blieben sie in engem Briefkontakt. Es galt als ungewöhnlich, wenn junge Frauen lesen und schreiben konnten, aber ihr Vater war ein ungewöhnlicher Mann gewesen, der Buchhaltung hasste und es daher vorzog, solch häusliche Pflichten seiner Frau und seinen Töchtern zu überlassen, noch dazu, nachdem sie ohnehin nicht viel anderes zu tun hatten.
Auch wenn sich die beiden Mädchen häufig schrieben, trafen Giannozzas Briefe - wenn überhaupt - nur in unregelmäßigen Abständen ein, und Giulietta befürchtete, dass ihre eigenen Briefe in die Gegenrichtung ebenso lange unterwegs waren -falls sie ihr Ziel überhaupt jemals
Weitere Kostenlose Bücher