Julia
erschrocken zusammenfahren. »Nun kann aber nicht mehr viel übrig sein, was du noch beichten musst. Beeil dich, denn wir wollen aufbrechen!«
Im Rahmen ihres kurzen, aber poetischen Abschieds bekräftigte Romeo seine Absicht, sie zu heiraten, doch Giulietta wagte nicht daran zu glauben. Nachdem sie erlebt hatte, wie ihre Schwester Giannozza an einen Mann verheiratet wurde, der sich eher um einen Sarg als um eine Frau hätte bemühen sollen, wusste Giulietta nur allzu gut, dass die Ehe keine Sache war, die ein junges Liebespaar selbst plante. In erster Linie ging es dabei um Politik und Erbmasse. Die Ehe hatte nichts zu tun mit den Wünschen von Braut und Bräutigam, dafür aber eine Menge mit den ehrgeizigen Zielen ihrer Eltern. Laut Giannozza - deren erste Briefe als verheiratete Frau Giulietta zum Weinen gebracht hatten - kam die Liebe immer erst später, mit jemand anderem.
Es geschah nur selten, dass Comandante Marescotti mit seinem Erstgeborenen zufrieden war. Die meiste Zeit musste er sich ins Gedächtnis rufen, dass es gegen die Jugend - wie gegen die meisten Fieber - nur ein einziges Heilmittel gab: die Zeit. Entweder der Patient erlag seinem Leiden, oder es wurde allmählich von selbst besser. Weshalb einem weisen Mann nichts anderes übrig blieb, als sich an die Tugend der Geduld zu klammern. Leider war Comandante Marescotti, was diese spezielle Währung betraf, nicht allzu reich gesegnet, und als Folge dieser Tatsache hatte sich sein väterliches Herz zu einem vielköpfigen Ungeheuer entwickelt, das ein höhlenartiges Lager voller Ängste und Ärgernisse hütete - stets wachsam, aber dennoch meist ohne Erfolg. So auch diesmal.
»Romeo«, sagte er, während er nach dem bisher schlechtesten Schuss dieses Vormittags den Bogen senkte, »ich will davon nichts mehr hören. Ich bin ein Marescotti. Viele Jahre lang wurde Siena von diesem Haus aus regiert. In unserem Hof wurden Kriege geplant. Der Frieden von Montaperti wurde von unserem Turm aus verkündet! Diese Wände sprechen für sich!«
Comandante Marescotti, der sich in seinem eigenen Innenhof ebenso selbstbewusst zu voller Größe aufrichtete wie vor seinem Heer, beäugte mit kritischem Blick das neue Fresko und dessen summend vor sich hin arbeitenden Schöpfer Maestro Ambrogio, wobei er nach wie vor weder die Genialität des einen noch die des anderen voll zu schätzen wusste. Zugegeben, die farbenprächtige Schlachtszene verlieh dem klosterartigen Innenhof ein wenig Wärme, die Mitglieder der Familie Marescotti waren schön abgebildet und überzeugten in ihrer Tugendhaftigheit, aber warum dauerte es so verdammt lang, das Bild zu vollenden?
»Aber Vater!«
»Schluss!« Diesmal wurde Comandante Marescotti sogar ein wenig laut. »Ich will mit dieser Sorte von Menschen nichts zu tun haben! Bedeutet es dir denn gar nichts, dass wir schon so viele Jahre in Frieden leben, während all diese gierigen Emporkömmlinge, die Tolomeis, Salimbenis und Malavoltis, sich gegenseitig auf den Straßen abschlachten? Möchtest du, dass ihr böses Blut sich bis in unser Haus ausbreitet? Möchtest du, dass deine Brüder und Cousins schon in der Wiege ermordet werden?«
Maestro Ambrogio konnte nicht anders, als von der anderen Seite des Hofes den Comandante zu betrachten, der so selten Gefühle zeigte. Noch größer als sein Sohn - wenn auch hauptsächlich wegen seiner aufrechten Haltung -, war Romeos Vater einer der eindrucksvollsten Männer, die der Maestro je porträtiert hatte. Weder sein Gesicht noch seine Gestalt trugen irgendwelche Spuren von Unmäßigkeit. Er aß nur so viel, wie nötig war, um gesund und bei Kräften zu bleiben, und gönnte sich nur so viel Schlaf, wie sein Körper brauchte, um sich zu erholen. Im Gegensatz zu ihm aß und trank sein Sohn Romeo, wonach es ihn gerade gelüstete, und machte mit seinen Eskapaden fröhlich die Nacht zum Tage, und den Tag zur Nacht, indem er sich erst morgens zur Ruhe legte.
Trotzdem sahen sie einander so ähnlich - beide machten einen starken, unerschütterlichen Eindruck -, und obwohl Romeo ständig gegen die Hausregeln verstieß, kam es nur ganz selten vor, dass sie ein solches verbales Duell miteinander führten, bei dem beide nur darauf warteten, gegen den anderen zu punkten.
»Aber Vater!«, rief Romeo erneut, doch wieder wurde sein Einwand ignoriert.
»Und wofür? Für eine Frau!« Am liebsten hätte Comandante Marescotti die Augen verdreht, benötigte sie aber zum Zielen. Dieses Mal traf sein Pfeil
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