Julians süßes Blut (German Edition)
seiner Hand. Er hatte das Gefühl, es nicht halten zu können. Doch er nahm es mit sich, setzte sich wieder in den Sessel und schlug das Buch auf. Tat er etwas Verbotenes? Aber er mußte es einfach wissen. Mußte wissen, wer sein Vater war. Mußte in Erfahrung bringen, warum er ihn nicht kennenlernen durfte.
Langsam begann er zu lesen.
13. 11.96
Ich beginne wieder mit dem Schreiben, da mir merkwürdige Dinge widerfahren sind, in der letzten Zeit. Ach, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Es ist jetzt vielleicht ein halbes Jahr her, daß ich mich von Thomas getrennt habe. Gott, was bin ich froh darüber, endlich diesen Schritt gewagt zu haben. Ich kann wieder atmen. Zunächst dachte ich, die Einsamkeit halte ich nicht aus, doch mittlerweile ist es sehr angenehm.
Und nun beginnt eigentlich der unglaubwürdige Teil der Geschichte. Ich habe jemanden kennengelernt, Alexander ist sein Name. Er ist – ach, ich kann ihn nicht beschreiben. Verführerisch, dunkel, sanft und schön. Und er ist kein Mensch, auch wenn er so aussieht. Eines Nachts stand er in meinem Zimmer. Ich war so erschrocken – ich dachte: das ist mein Ende. Ich dachte wirklich, er bringt mich um. Doch, als er mich das erste Mal in seinen starken Armen hielt und ich seinen unverwechselbaren Geruch einsog, da war es um mich geschehen. Und jetzt sitze ich hier und erwarte ihn. Erwarte ihn in freudiger Erregung. Jeden Abend wünsche ich ihn herbei. Ein Kribbeln überzieht meinen Körper, wenn ich an ihn denke. Ich – ich wünschte, er käme in mein Bett. Wenn ich doch nur seine kühlen Hände auf meinem Körper spüren könnte.
Julian spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoß. Wie merkwürdig es war, solche Gedanken seiner Mutter zu erfahren. Niemals hatten sie über dieses Thema gesprochen. Nur an dem Tag, als Virginia den feuchten Fleck in seinem Bettlaken gesehen hatte. Er hatte sich unglaublich geschämt, doch sie hatte ihm alles ruhig und sachlich erklärt. Hatte ihm gesagt, wie das passieren konnte und daß es nicht Schmutziges war. Und bei der Gelegenheit hatte sie ihm auch erklärt, wo die Babys herkamen. Er hatte ihr still gegenüber gesessen, mit puterrotem Kopf.
18.11.96
Ich glaube, ich habe Monica ganz schön vor den Kopf gestoßen. Denn als sie neulich anrief, habe ich sie einfach abgewürgt. Ach, ich hatte keine andere Wahl, Alex war plötzlich in meiner Wohnung aufgetaucht. Ich hoffe, sie ist nicht allzu gekränkt. Ich habe ihr gesagt, daß ich jemanden kennengelernt habe. Vielleicht verzeiht sie meinen Geisteszustand. Ich bin so aufgekratzt, weiß nicht, was ich mit mir anfangen soll. Alex besucht mich abends, doch es ist noch nichts passiert. Ich sehne mich nach seinem Körper. Wenn wir uns nah sind, wenn er ES tut, fühle ich die Stärke, die Festigkeit seines schlanken Körpers. Dann vergehe ich fast vor Lust. So etwas habe ich noch nie gespürt, nicht einmal, wenn ich mit Thomas geschlafen habe.
Julian hielt verwundert inne. Was bedeutete ES? Sie hatte geschrieben, daß sie nicht mit diesem Alex im Bett gewesen war. Was um alles in der Welt bedeutete dann ES?
Er legte das Buch aufgeschlagen auf den Tisch und wischte sich mit der gesunden Hand über die Augen. Dann stand er auf und holte sich eine Dose Cola aus dem Kühlschrank. Asrael, der große getigerte Kater, folgte ihm und ließ sich auf Julians Schoß nieder, als dieser sich setzte. Als Julian das weiche Fell des Katers spürte, rollte eine Erinnnerungswelle über ihn hinweg. Er spürte einen stechenden Schmerz in seinem Innern und schluckte krampfhaft. Die Cola reizte seinen rauhen Hals, und er hustete nach dem ersten Schluck erschöpft.
Dann nahm er das rote Buch wieder zur Hand. War es noch schwerer geworden, seit er es das letzte Mal aus der Hand gelegt hatte?
Ich bin völlig durcheinander, weiß nicht einmal genau, was ich schreiben soll. In ein paar Stunden sehe ich ihn wieder. Ich bin verwirrt – werde ich verrückt?
Ich befürchtete schon in einer Traumwelt zu leben. In einer Welt, die ich mir selbst ausgedacht habe. Natürlich ist die Trennung von Thomas nicht spurlos an mir vorübergegangen.
Was läge da näher, als sich einen Traummann zusammenzuphantasieren? Einen, der mich fasziniert, der mein Leben erfüllt? Doch – der Traum macht mich müde, läßt mich blaß aussehen. Mit fiebriger Erwartung sitze ich nun hier, zähle fast die Minuten, bis ich ihn wiedersehe. Oh Gott, ich weiß, daß er kein Mensch ist. Ich
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