Julias Geheimnis
Projekt, etwas, das ihre Gedanken beschäftigte. In dem Haus ihrer Eltern konnte sie nicht bleiben. Sie musste irgendwo anders hinziehen. Abgesehen davon, dass es zu groß war und sie Kapital flüssig machen musste … Das Haus ihrer Eltern würde immer den beiden gehören. Um sich zu erinnern, brauchte sie keine Geister. Und diese Klippen waren für Ruby die Summe ihrer Kindheit. Sie wollte dieses Cottage.
Draußen erkundeten sie den in steilen Terrassen angelegten Garten. Er war wie erwartet zugewuchert, aber ebenso erwartungsgemäß hatte man von seinem höchsten Punkt aus die beste Aussicht. Ruby hörte nichts als den Wind, die Wellen und das Kreischen der Möwen.
»Hier muss eine Menge getan werden, Liebes«, sagte Mel zu Ruby, nachdem die Maklerin weggefahren war. »Aber es gefällt mir wirklich gut.«
Ruby ging es genauso. »Ich muss zur Bank«, sagte sie. Viel Kapital war nicht mehr da, doch sie konnte das Haus als Sicherheit anbieten. Ja, an dem Cottage musste viel getan werden. Aber sie konnte sich hier sehen. Es würde ihre Eltern nicht wieder lebendig machen. Aber es war genau die Art von Ort, die sie jetzt brauchte.
Mel zog eine Augenbraue hoch. »Heißt das, dass du endgültig in Dorset bleibst?«
Ruby holte tief Luft. Sie würde mit James reden müssen,ihm erklären, wozu sie sich entschlossen hatte. »Ich glaube schon«, sagte sie.
Zum Tee kehrten sie in das Haus von Rubys Eltern zurück. Mel streckte sich auf dem Sofa aus, und Ruby machte es sich im Sessel gemütlich.
»Es wird so schön sein, dich wieder hier zu haben.« Nachdenklich betrachtete sie Ruby. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass du für immer bleibst.«
»Wegen James?«
Mel setzte sich auf. »Nein, eher, weil du irgendwie …« Sie zögerte. »Du scheinst dich in einer Art Schwebezustand zu befinden.«
Ruby dachte darüber nach. James hatte nicht begriffen, warum sie nach Dorset zurückgemusst hatte, aber sie hatte das Gefühl gehabt, zurückgehen zu müssen, um vorwärtszukommen. »Vielleicht verändere ich mich gerade«, sagte sie zu Mel.
Sie nickte. »Genau.« Die beiden wechselten ein verschwörerisches Lächeln.
»Vielleicht sollte ich mir ein Auto kaufen?« In London hatte sie keines gebraucht. James hatte ein Saab-Cabrio, das sie an den Wochenenden benutzt hatten, aber meist war es einfacher gewesen, die U-Bahn und Busse zu nehmen. Jetzt allerdings …
»Cooler Flitzer?« Mel grinste.
»Auf jeden Fall.« Vielleicht ein Mazda MX 5. »Und ein Hollandrad für die Feldwege.«
Mel lachte. »Auf jeden Fall ein Hollandrad.«
Wenn sie wieder nach Dorset zog, würde sich ihr Leben gewaltig ändern.
Ruby ging in die Küche, um Tee aufzugießen. Als sie zurückkam, stand Mel an dem Nussbaumtisch und blätterte in dem alten Familienalbum, das Ruby dort liegen gelassen hatte.
»Deine Mum war so hübsch«, meinte sie.
»Ich weiß.« Ruby spähte über Mels Schulter. Die Fotos zeigten ihre Eltern, in Cornwall im Sommer vor Rubys Geburt. Sie hielten einander umschlungen wie ein frisch verheiratetes Paar.
Mel blätterte die Seiten um, und Ruby sah, wie sich das Leben ihrer Eltern vor ihr entfaltete. Sie sah ihre Mutter, wie sie lachend ins Meer rannte, und ihren Vater, wie er neben einem bunt gestrichenen Boot mit einem grauhaarigen Fischer plauderte. Sie sah die beiden, wie sie vor einem Geländer posierten, hinter ihnen die Hafenkulisse von St. Ives. Ruby seufzte. Die Grabrede bei der Beerdigung war sehr schön gewesen. Ruby hatte sie sich voller Schmerz, aber trockenen Auges angehört. Denn sie hatte nichts mit dem echten, chaotischen Leben im Haus ihrer Eltern zu tun, an das sie sich aus Kinderzeiten erinnerte. Weitere Bilder erschienen vor ihrem inneren Auge. Ihre Mutter, wie sie sich mit einer Hand die Zähne putzte und sich mit der anderen das lange braune Haar aus dem Gesicht hielt; wie sie atemlos die Straße entlangrannte und Ruby zu spät zur Schule brachte. Ihr Vater, der stirnrunzelnd eine Tischplatte glatt schliff; das Grinsen, mit dem er die kleine Ruby hochhob und umdrehte, sodass sie eine Welt sah, in der alles auf dem Kopf stand.
»Ich sehe Mum überhaupt nicht ähnlich.« Ihre Eltern waren beide eher dunkle Typen, während sie … »Oh mein Gott«, sagte sie.
»Was?«
Ruby packte Mels Arm. »Schau mich an, Mel. Was siehst du?«
»Du kommst mir ein bisschen müde vor«, gestand Mel. »Ich bin mir nicht sicher, ob du genug isst. Und um ehrlich zu sein, ist dein Haar schrecklich
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