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Julias Geheimnis

Julias Geheimnis

Titel: Julias Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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Samstagabend war ihren Eltern gewidmet gewesen und hatte sich wie ein viel stärkerer und persönlicher Abschied angefühlt. Obwohl die Trauer sie fast überwältigt hatte, war es gut für sie gewesen. Und es war gut gelaufen. Als sie das Publikum gesehen und den Applaus gehört hatte, hatte sie den puren Adrenalinrausch gespürt, den sie beim Auftreten und Spielen immer verspürte. Sie war in einer solchen Hochstimmung gewesen, dass sie Schuhschachteln, Fotos und Geburtsurkunden fast vergessen hatte.
    Was, wenn sie nicht das Kind ihrer Eltern war? Sie konnte nicht verhindern, dass sich der Gedanke erneut in ihren Kopf schlich. Sie hatte ihre Eltern verloren, und jetzt würde sie vielleicht entdecken, dass sie gar nicht ihr Kind war.
    Sie trat in die Pedale und fuhr schneller. Aber sie warentrotzdem in jeder Hinsicht, auf die es ankam, ihre Eltern gewesen. Sie hatten für sie gesorgt, sie geliebt. Das konnte ihr niemand nehmen. Selbst wenn   … Der Gedanke schwebte in der Luft und wurde davongeweht wie Möwen in einem thermischen Aufwind.
    Auktionen waren eigenartig. Der Auktionator dirigierte mit erhobenen Armen den ganzen Vorgang. Er schien Augen im Rücken und im Hinterkopf zu haben, trieb den Preis jedes Mal, wenn er zu stagnieren schien, hoch und stieß stakkatoartig die Standardsätze hervor. »Für Sie   …«, »Gegen Sie   …«, »Wer gibt mir   …?«, »Jetzt stehen wir bei zwei«, »Sehe ich da drei?« Es klang wie ein Sprechgesang oder ein Gedicht und übte eine beinahe hypnotische Wirkung auf Ruby aus. Sie war ein wenig nervös; sie war noch nie bei einer Auktion gewesen, und dies war ein großer Kauf. Doch sie kannte ihr Budget. Sie konnte nur bis 200   000 Pfund gehen, das war ihr absolutes Limit. Sie durfte keinen Penny mehr ausgeben, so stark sie vielleicht auch in Versuchung sein würde.
    In der Broschüre für die Auktion befand sich ein Foto des Küstenwachenhäuschens, das ziemlich trostlos und verwaist aussah, und sie gestattete sich einen kurzen Tagtraum. In ihrer Fantasie stand sie in einem farbbespritzten Overall auf einer Leiter und strich das Wohnzimmer weiß. Weiße Wände, Holzbalken, polierte Dielenbretter, gute antike Möbel. Vielleicht ein Ledersofa, oder eine Chaiselongue?
    Sie erinnerte sich an den Ausblick auf Chesil Beach   – die Brandung, die Brecher, das Meer, das sich am Horizont in der Unendlichkeit verlor. Die Verheißung eines Pfads, der sich die grüngoldene Klippe hinaufschlängelte. Das Märchen. Ja, aber konnte es für sie wirklich noch einmal wahr werden?
    Schließlich begann die Versteigerung des Küstenwachenhäuschens. Es ging langsam los, sodass ihre Hoffnung wuchs, dass sich niemand außer ihr ernsthaft dafür interessieren würde . Doch dann kam die Sache in Schwung, verflucht. Ihr erstes Gebot   – bei 115   000 Pfund   – kostete sie ziemlich Mut. Doch der Auktionator erspähte ihren winkenden Arm sofort. Eigentlich war es kein Winken, sie fuchtelte mit dem Arm in der Luft herum wie eine Ertrinkende. Aber sie war im Spiel.
    Bei 120   000 Pfund verloren sie ein paar Mitspieler, und bei 135   000 wurde Ruby klar, dass nur noch zwei Personen im Rennen waren. Verdammt, sie hatte einen Rivalen. Da er genau auf der gegenüberliegenden Seite des Raums saß, konnte sie ihn von ihrem Platz aus zwar nicht richtig sehen, aber sie konnte ihn hören. Seine Stimme klang leise und weich und hatte einen fremdartigen Unterton.
    Mit einem entschiedenen Nicken segnete sie 139   000 ab. Das war mal wieder ihr typisches Glück: Sie konkurrierte mit ausländischem Kapital, mit jemandem, der keine Ahnung hatte, welches Risiko er mit dem Küstenwachen-Cottage einging, mit jemandem, der nicht wusste, was er tat, der einfach hereinspaziert war. Mit irgendeinem Idioten, der   …
    140   000. Es wurde weiter gesteigert, und es ging hin und her. Bei 150   000 reckte Ruby den Hals und versuchte, um die Säule herumzuspähen, um einen Blick auf ihren Konkurrenten zu erhaschen. Es gelang ihr, denn er rutschte auf seinem Stuhl herum und kam so in ihren Blick. Er war groß und dunkel und kam ihr vage bekannt vor. Vielleicht wohnte er ja doch in der Gegend. 160   000, sie ging mit.
    Keiner von ihnen zauderte. Die Stimmung in der Halle war angespannt. Alle warteten schweigend und schauten von Ruby, die hinten an der Tür saß, zu ihm, der am anderenEnde der Halle Platz genommen hatte. Es war wie ein Ping-Pong-Spiel, dachte sie. Aber ein gefährliches. Das Adrenalin strömte

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