Julias kleine Sargmusik
verabschieden, als wir aus dem oberen Räumen ein Geräusch vernahmen.
Es war das Spiel einer Geige!
Helen Landers wurde leichenblass. Auch uns wich das Blut aus den Gesichtern. Für Suko und mich gab es nur eine Erklärung. Diejenige Person, die dort Geige spielte, musste Julia sein.
»Sie ist doch tot«, hauchte Helen, die den gleichen Gedankengang wie wir gehabt hatte und auf deren Gesicht sich allmählich eine Gänsehaut abmalte. »Das kann sie nicht sein.«
»Wir werden nachschauen«, sagte der Chinese. »Befand sich ihr Zimmer in der ersten Etage?«
»Ja.«
Suko und ich überstürzten nichts. Leise verließen wir den Raum, betraten den Flur und schauten auf die nach oben führende Holztreppe. Die Stufen waren hell gebeizt, und als wir sie hintereinander hochgingen, hielten wir uns an ihrem äußersten rechten Rand.
Suko hatte die Spitze übernommen. Helen Landers ging hinter mir. Ich hörte sie heftig atmen.
Die Frau hatte Angst, was für mich wiederum sehr verständlich war. Dieses Geigenspiel zu hören, war wirklich mehr als ungewöhnlich, wenn nicht unheimlich.
Mir fielen wieder die Worte der Witwe Featherhead ein. Die Frau hatte von einem ungewöhnlichen Geigenspiel gesprochen. Das erlebten wir in diesem Augenblick. Es waren keine Melodien, die uns da entgegenwehten, sondern Töne voller Disharmonie. Sehr schrill, manchmal wie Schreie klingend, dann wieder leise und schluchzend. Hin und wieder hörte es sich an, als würde der Bogen nicht über die Saiten, sondern auf Holz kratzen. Diese für uns ungewohnten Klänge schmerzten in den Ohren.
Am Ende der Treppe blieb ich stehen und schaute auf Mrs. Landers.
»Sagen Sie, hat Julia immer so seltsam gespielt?«
Sie nickte nur. In ihren Augen sah ich das Schimmern der Tränen. Ich konnte mir vorstellen, was diese Frau mitmachte und fasste beruhigend nach ihrem Arm.
»Komm, wir gehen weiter«, wisperte Suko. Der Inspektor war ebenso neugierig wie ich.
Ein schmaler Flur nahm uns auf. Die Musik kam von links. Dort befanden sich auch zwei Türen. Eine davon war geschlossen. Helen Landers deutete auf sie. »Dahinter liegt ihr Zimmer.« Sie ging an uns vorbei und blieb direkt vor der Tür stehen. Ihr Gesicht war angespannt, die Augen weit geöffnet. Nur wenig Licht fiel in den Flur, so dass wir mehr im Schatten standen. »Darf ich zuerst das Zimmer betreten?« hauchte sie.
»Bitte.«
Sie berührte die Klinke und drückte sie behutsam nach unten. Die Lippen hatte sie fest zusammen gepresst, so dass sie in der Haut kaum auffielen. Sehr langsam öffnete sie, drückte mit dem Ellbogen gegen die Tür, die fast lautlos nach innen schwang, jedenfalls hörten wir nichts, weil die Klänge der Geige alles übertönten.
Bis zur Hälfte schob die Frau die Tür auf. Ich sah, wie sie förmlich erstarrte. Auch Suko bemerkte es. Er war schnell bei ihr und hielt sie fest.
Ich bekam Platz genug, um den Raum betreten zu können. Dabei traute auch ich mich nicht weiter als bis auf die Schwelle, denn all das, das wir bisher nur angenommen hatten, bekamen wir bestätigt. Auf einem Stuhl neben dem Fenster saß eine Tote und spielte Geige!
Sie hatte uns nicht bemerkt. Versunken war sie in ihr Spiel, schaute schräg aus dem Fenster, und ich musste an die Beschreibung denken, die mir Mrs. Featherhead gegeben hatte.
Sie stimmte mit der des spielenden Mädchens überein! Ein weißes Kleid trug Julia. Ihr blondes Haar war zu Locken gedreht und fiel bis auf die schmalen Schultern. Sehr blass war das Gesicht. Sie schaute nicht zur Tür, sondern schräg durch die Scheibe nach draußen. Dabei bewegte sie den Bogen wie selbstvergessen. Er streichelte die Saiten und entlockte ihnen die schrillen, sehr seltsamen, oft schmerzenden Klänge, die mein Trommelfell zum Vibrieren brachten.
Ich hielt den Atem an. Auch Suko und Julias Mutter sagten kein Wort. Sie schauten auf das Mädchen, das da saß, als wäre nichts geschehen. Sie wirkte wie eine Lebende. Nur ihre Haut war seltsam dünn und auch durchscheinend.
Nein, das war keine normale Person, das musste eine Tote sein, denn ich sah auch nicht, dass sie atmete.
Ein weiblicher Zombie, der Geige spielte. Oder?
Rechts neben mir vernahm ich trotz der schrillen Geigenklänge das scharfe Atmen. Ausgestoßen hatte es Mrs. Landers. Ich ahnte, dass sie etwas vorhatte, was mir überhaupt nicht gefiel, und Suko reagierte schneller.
Bevor sie schreien konnte, legte er ihr eine Hand auf den Mund und erstickte den Laut.
Ich warf meinem Partner
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