Julias kleine Sargmusik
sie damals einen Geist auf dem Grabstein hatte sitzen sehen, oder war es ein lebendes Wesen gewesen?
Wenn sie von einem Geist ausging, hatte der möglicherweise ihrem Haus auch einen Besuch abgestattet. Ja, so konnte es gewesen sein, deshalb diese Veränderung, die sie nur spürte oder fühlte und nicht sah. Nach wenigen Minuten hatte Clara Featherhead die erste Etage inspiziert und begab sich wieder auf den Rückweg. Sehr langsam schritt sie dabei die Treppe hinab. Eine Hand ließ sie auf dem Geländer liegen. Die Stufen waren ziemlich steil und ihre Knochen nicht mehr die jüngsten.
Am Ende der Treppe angekommen, vernahm sie das Geräusch. Es war ein metallen klingendes Knallen im Haus.
Mrs. Featherhead stand wie erstarrt im Flur. Ihre Lippen zitterten, sie dachte über das Geräusch näher nach und auch über seine Herkunft. Plötzlich wusste sie Bescheid! Im Keller war es entstanden. Von allein passierte so etwas nicht. Ihrer Ansicht nach musste sich dort jemand herumtreiben. Aber wer?
Sie holte tief Luft. Plötzlich verschwamm alles vor ihren Augen. Die Wohnung wurde zu einem Kreisel, in dem die Wände rasend schnell rotierten, zu farbigen Schleiern wurden, die einfach nicht mehr von allein weichen wollten.
Dass sie zur Seite und gegen die Wand fiel, spürte sie kaum. Dafür holte sie einige Male tief Luft, und sie merkte, wie es ihr besser ging. Der Angstschwindel war vorüber.
Sie sah wieder klar, doch die Tatsache des Geräuschs blieb. Aus schmalen Augen fixierte Mrs. Featherhead die Kellertür. Sie war hellgrün gestrichen, nicht verschlossen, und mit der Unterseite endete sie eine Fingerbreite über dem Boden, so dass es durch den Spalt ständig zog. Auch jetzt spürte die Frau den Luftzug an ihren Beinen. Wer lauerte im Keller? War es ein Fremder? Vielleicht ein Einbrecher, oder hatte es mit der gesamten Situation zu tun, in der sie sich eingebettet fühlte? Eine Lage, die ihr an die Nieren ging und die Brust zusammenpresste, als würde ein Reif auf ihr liegen. Die Witwe dachte darüber nach, ob sie es wagen sollte, in den Keller zu gehen. Wäre sie 30 Jahre jünger gewesen, hätte sie es vielleicht getan, aber sie war nicht mehr die Stärkste, und sie hatte Furcht, dass etwas passierte.
Ob Julia dort unten lauerte? Eine Tote, die darauf wartete, an Opfer zu kommen? Ihre Kehle wurde eng, als sie daran dachte. Das war schrecklich, unheimlich, und sie dachte an Flucht.
Bis sie die erneuten Geräusche hörte. Sie waren hinter der Tür aufgeklungen und hatten sich sehr seltsam angehört. Schritte waren es nicht, auch kein Tacken oder Hämmern, sondern eher ein Klatschen und Gleiten.
Obwohl Clara Featherhead Angst hatte, brachte sie es nicht fertig, ihr Haus zu verlassen. Sie stand im Flur und ließ die Kellertür keine Sekunde aus den Augen.
Jetzt waren die Geräusche schon lauter geworden. Ein Zeichen, dass sich der andere der Tür näherte.
»Wer bist du?« Clara erschrak über ihre eigene Stimme, als sie die Frage stellte. Sie kam ihr so zitternd, fremd und anders vor. Keine Antwort.
Dafür sah sie etwas anderes. Die Tür musste von der anderen Seite einen starken Druck bekommen haben, denn die Bohlen bogen sich der angststarren Frau entgegen.
Es geschah wie in einer Zeitlupenszene. Noch hielt das Holz. Von Sekunde zu Sekunde bekam es mehr Druck. Erste Nägel bewegten sich, sie knirschten im Holz und platzten weg.
Auch die Bohlen. Wie durch eine Sprengung flogen sie Clara Featherhead entgegen. Die Angeln konnten die Tür nicht mehr halten, so dass sie aus dem Rahmen kippte und dicht vor der Frau zu Boden knallte.
Und dort blieb sie liegen.
Clara Featherhead hatte dafür keinen Blick. Sie interessierte vielmehr das Wesen, das auf der Schwelle stand.
Noch nie in ihrem Leben hatte sie so etwas Schreckliches gesehen. Es sah aus wie ein gewaltiger viereckiger Schleimklumpen, der die gesamte Türbreite einnahm.
Seine Farbe erinnerte die Frau an helles Blut. Sie dachte daran, dass etwas Ähnliches schon aus der Erdspalte am Friedhof gekrochen war und den Polizisten zu sich geholt hatte.
Claras Angst wurde grenzenlos. Den Mund hielt sie offen, denn der Schleimklumpen war eigentlich nicht das, das sie so sehr erschreckt hatte. Sein Inhalt war es.
Innerhalb des Schleims stand ein Mensch! Glenn Rotter!
Die alte Frau war vor Angst grau geworden. Sie stand dicht an einem Infarkt, das wusste sie, und sie wusste auch, dass dieses Monstrum, das einmal Glenn Rotter gewesen war, kam, um sie zu holen. In
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