Julie oder Die neue Heloise
Interessen der Fürsten, Milord Eduard findet ebenfalls, daß du die Principien der Politik und die verschiedenen Regierungssysteme nicht übel studirt habest. Ich habe mir in den Kopf gesetzt, daß dasjenige Land, in welchem die Fähigkeit am meisten geschätzt ist, das passendste für dich sein wird, und daß du dich nur bekannt zu machen brauchst, um Beschäftigung zu finden. Du erwähnst der Religion, aber warum sollte die deinige dir mehr als manchem Andern hinderlich sein? Schützt nicht die Vernunft vor Intoleranz und Fanatismus? Ist man in Frankreich bigotter als in Deutschland? Was sollte dich denn wohl hindern, in Paris denselben Weg zu machen, den Herr von Saint-Saphorin
[Eine Familie aus dem Wallis. Von dem hier genannten Herrn von Saint-Saphorin (der vermuthlich die diplomatische Karriere gemacht hat) ist nichts weiter bekannt. D. Ueb.]
in Wien gemacht hat? Wenn du das Ziel in Betracht nimmst, wird nicht der Erfolg um so eher zu erwarten sein, jeschleuniger du Versuche machst? Wenn du die Mittel vergleichst, ist es nicht noch anständiger, sich durch seine Talente zu befördern als durch seine Freunde? Wenn du bedenkst …. ach, dieses Meer!.... eine längere Ueberfahrt …. Ich würde England lieber haben, wenn Paris auch drüben wäre.
Bei Gelegenheit dieser großen Stadt darf ich wohl eine Affectation hervorheben, die ich in deinen Briefen bemerke? Du hast mir mit so vielem Vergnügen von den Walliserinnen erzählt, warum sagst du nichts von den Pariserinnen? Verdienen diese galanten und berühmten Frauen weniger eine Schilderung als ein Paar einfältige Gebirgsdirnen? Fürchtest du vielleicht, mir Unruhe zu machen, wenn du mir ein Gemälde von den verführerischesten Personen der Welt entwirfst? Täusche dich nicht, mein Freund! das Schlimmste für meine Ruhe, was du thun kannst, ist, nicht von ihnen zu sprechen, und was du mir auch sagen könntest, dein Stillschweigen über sie ist mir viel verdächtiger als dein Lob sein würde.
Ich würde mich auch freuen, ein Wörtchen über die Pariser Oper zu vernehmen, von der man hier Wunder sagt
[Ich würde eine sehr schlechte Meinung von Denen haben, welche, mit Juliens Charakter und Situation bekannt, nicht Augenblicks erriethen, daß diese Neugier nicht von ihr ausgeht. Man wird bald sehen, daß ihr Liebhaber sich darüber nicht täuscht; wäre das, so wäre klar, daß er sie nicht mehr liebte.]
; denn im Grunde, wenn auch die Musik schlecht ist, kann doch die Aufführung ihre Schönheiten haben; wo nicht, ist es wieder ein Gegenstand für deine Schmählust, wobei du wenigstens Niemanden beleidigen wirst.
Ich weiß nicht, ob es der Mühe werth ist, dir zu sagen, daß mir bei Gelegenheit der Hochzeit in den letztvergangenen Tagen zwei Bräutigame zugleich, als ob sie sich bestellt hätten, zugeflogen sind, der eine von Yverdun, von Schloß zu Schloß einsprechend und jagend, der andere aus dem deutschen Land, mit der Berner Kutsche. Der erstere ist eine Art
Petit-maitre
, der seine Worte sehr kurz und prall hinwirft, damit diejenigen, welche nichts als den Klang davon hören, sie für geistreich halten sollen; der andere ist ein äußerst verlegener schüchterner Tropf, nicht von jener liebenswürdigen Schüchternheit, die von der Furcht zu mißfallen herrührt, sondern von der Verlegenheit eines Dummkopfs, der nicht weiß, was er reden soll und dem Unbehagen eines Wüstlings, der sich einem anständigen Mädchen gegenüber nicht an seinem Platze fühlt. Da ich die Absichten meines Vaters in Betreff dieser beiden Herren sehr bestimmt weiß, so mache ich mit Vergnügen von der Freiheit Gebrauch, die er mir läßt, sie nach meiner Laune zu behandeln und ich denke nicht, daß gegen diese Laune jene, die die Herren hergeführt hat, lange Stich halten wird. Ich hasse sie, daß sie auf ein Herz, in welchem du herrschest, Angriffe wagen, ohne Waffen, um es dir streitig zu machen; hätten sie deren, würde ich sie noch mehr hassen; aber woher sollten sie sie nehmen, sie, und Andere, und alle Welt? Nein, nein, sei ruhig, mein liebenswürdiger Freund! wenn ich ein Wesen fände, das sich mit dir vergleichen könnte, wenn sich dein zweites Selbst mir vorstellte, würde doch der zuerst Gekommene der einzige bleiben, der Gehör findet. Mache dir also keine Unruhe um diese beiden Subjecte, von denen ich es kaum der Mühe werth finde, dir etwas zu sagen. Was für eine Lust wäre es mir, könnte ich ihnen zwei Dosen Ekel so vollkommen gleich einrühren, daß sie den
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