Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
Entschluß faßten, zusammen abzureisen, wie sie gekommen sind, und daß ich dir Beider Abreise zugleich melden könnte!
    Herr von Crouzas hat uns mit einer Refutation der Episteln Pope's beschenkt, und ich habe mich damit gelangweilt. Ich weiß nicht, die Wahrheit zu sagen, wer von Beiden Recht hat, aber das weiß ich, daß das Buch des Herrn von Crouzas mich nie zu etwas Gutem anregen wird, während es nichts Gutes giebt, wozu man nicht Lust in sich spürte, wenn man Pope aus der Hand legt. Ich für mein Theil habe keine andere Methode, die Bücher, welche ich lese, zu beurtheilen, als daß ich auf die Stimmung achte, welche sie in meiner Seele zurücklassen, und ich kann mir gar nicht denken, was an einem Buche Gutes sein kann, das nicht seine Leser zum Guten leitet
[Wenn der Leser diesen Maßstab gut findet, so gebrauche er ihn zur Beurtheilung dieser Sammlung; der Herausgeber wird gegen seinen Spruch keine weitere Berufung einlegen.]
.
    Adieu, mein allzulieber Freund; ich habe gar nicht Lust, so rasch aufzuhören, aber man erwartet mich, man ruft nach mir. Ich scheide ungern von dir, denn ich bin heiter und theile meine Freude so gern mit dir. Was sie belebt und steigert, ist, daß sich meine Mutter seit einigen Tagen besser befindet; sie hat sich kräftig genug gefühlt, um der Hochzeit beizuwohnen und bei ihrer Nichte oder vielmehr zweiten Tochter Mutterstatt einzunehmen. Die gute Clara hat vor Freuden darüber geweint; nun denke dir mich, die ich so wenig verdiene, daß sie mir erhalten bleibe und immer zittere, sie zu verlieren. In der That, sie macht die Honneurs bei dem Feste mit so viel Grazie, wie bei ihrer vollkommensten Gesundheit; ein Rest von Schwäche scheint ihrer ungesuchten Höflichkeit nur etwas noch Rührenderes zu geben. Nein, nie war die einzige Frau so gut, so bezaubernd, so anbetungswürdig .... Weißt du, daß sie sich bei Herrn von Orbe mehrmals nach dir erkundigt hat? Obgleich sie mit mir nicht von dir spricht, weiß ich doch recht gut, daß sie dich lieb hat, und daß, wenn sie je Gehör fände, dein und mein Glück ihr erstes Werk sein würde. Ach, wenn dein Herz der Dankbarkeit fähig ist, wie dankbar muß es sein und welche Schulden hat es abzutragen!
     
Neunzehnter Brief.
An Julie.
    Schilt mich, meine Julie, straf' mich, schlage mich, ich werde Alles leiden, aber ich werde nichtsdestoweniger fortfahren, dir Alles zu sagen, was ich denke. Wo soll ich alle meine Empfindungen niederlegen, wenn nicht bei dir, die du sie verklärst? Gegen wen würde mein Herz sich auszusprechen wagen, wenn du ihm kein Gehör mehr schenken wolltest? Wenn ich dir Rechenschaft ablege über meine Beobachtungen und Urtheile, so geschieht dies, damit du sie berichtigst, nicht damit du sie billigst; und je mehr ich in Irrthümer verfallen kann, desto mehr muß ich mich beeilen, dich von Allem in Kenntniß zu setzen. Wenn ich die Mißbräuche tadle, die sich mir in dieser großen Stadt aufdrängen, so will ich mich nicht damit entschuldigen, daß ich nur mit dir im Vertrauen darüber rede, denn ich sage nie etwas über einen Dritten, was ich nicht bereit wäre, ihm in's Gesicht zu sagen, und in Allem, was ich dir über die Pariser schreibe, wiederhole ich nur, was ich ihnen selbst alle Tage sage. Sie nehmen es mir nicht übel; sie geben Vieles zu, Sie beklagten sich über unseren Muralt, das glaube ich gern; man sieht, man fühlt, wie er sie haßt, selbst in dem Lobe, das er ihnen ertheilt, und ich müßte mich sehr irren, wenn man bei mir, selbst in meinem Tadel, nicht das Gegentheil bemerken sollte. Die Achtung und Erkenntlichkeit, welche mir ihre Güte gegen mich abgewinnt, vergrößern nur meine Freimüthigkeit: sie mag Manchem nicht unnütz sein, und nach der Art, wie Alle die Wahrheit in meinem
    Munde aufnehmen, getraue ich mir zu glauben, daß wir würdig sind, sie zu hören und ich, sie zu sagen. Hier wenigstens, meine Julie, ist die Wahrheit im Tadeln ehrenvoller als die Wahrheit im Loben; denn das Lob dient nur dazu, diejenigen, die es schmecken, zu verderben und die es am wenigsten verdienen, sind immer am gierigsten danach, aber der Tadel ist nützlich und nur das Bewußtsein des eigenen werthes kann ihn ertragen. Ich sage es dir aus dem Grunde meines Herzens, ich ehre das französische Volk als das einzige, welches wahrhaft die Menschen liebt und von Charakter wohlthätig ist, aber eben deshalb bin ich weniger geneigt, ihm die allgemeine Bewunderung zuzugestehen, die es selbst auch für seine

Weitere Kostenlose Bücher