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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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die Alles bis auf die orthographischen Fehler nachschreiben; die letzteren sind Schriftsteller, die als Meister copiren und die schlechten Lesarten zu verbessern wissen.
    Ihr Putz ist mehr gewählt als prachtvoll, es herrscht darin mehr Eleganz als Reichthum. Die große Veränderlichkeit der Mode, die von einem Jahr zum andern veraltet, die Sauberkeit, der zu Liebe sie ihren Anzug häufig wechseln, dies Alles bewahrt sie vor lächerlichem Prachtaufwand; sie wenden nicht weniger auf, aber mit mehr Sinn; statt abgetragener Prächtiger Roben, wie in Italien, sieht man hier einfache und immer frische Kleider. Beide Geschlechter haben in dieser Hinsicht gleiche Mäßigung und feines Gefühl, und dieser Geschmack macht mir viel Freude, ich sehe weder gern Galonirungen noch Schmutzflecke. Es giebt kein Volk, das unsrige ausgenommen, wo die Frauen im Allgemeinen weniger goldenen Staat trügen. Man sieht die nämlichen Stoffe in allen Ständen, und man würde Mühe haben, die Herzogin von der Bürgersfrau zu unterscheiden, wenn jene nicht so geschickt gewesen wäre, Unterscheidungszeichen aufzufinden, die sich diese nicht nachzuahmen getraut. Die Sache scheint ihre Schwierigkeit zu haben; denn welche Mode man auch bei Hofe aufbringe, die Stadt folgt augenblicklich nach, und es ist mit den Bürgersfrauen in Paris nicht wie mit den Frauen in der Provinz und im Auslande, die immer erst bei derjenigen Mode stehen, mit der es vorbei ist. Es ist auch nicht wie in anderen Ländern, wo die Vornehmsten immer zugleich die Reichsten sind und ihre Frauen sich durch einen Luxus unterscheiden, den die anderen nicht mitmachen können. Wenn die Frauen vom Hofe hier diesen Weg einschlügen, so würden sie bald von denen der Financiers überflügelt sein.
    Was haben sie also gethan? Sie haben Mittel gewählt, sicherer, geschickter, mehr von Ueberlegung zeugend. Sie wissen, daß dem Geiste des Volkes die Idee der Schamhaftigkeit, der Sittsamkeit tief eingegraben ist. Darauf haben sie die Erfindung unnachahmlicher Moden gebaut. Sie bemerkten, daß das Volk einen Abscheu vor dem Roth habe, dem es in seiner Plumpheit noch immer hartnäckig den Namen Schminke giebt, und sie legen vier Finger hoch — nicht Schminke,
    sondern Roth auf, denn mit dem geänderten Worte ist die Sache nicht mehr die nämliche. Sie bemerkten, daß ein entblöster Hals dem großen Haufen ein Aergerniß ist; und sie tragen ihr Leibchen tief ausgeschnitten. Sie bemerkten …. ja, mancherlei, was meine Julie, so sehr sie Frauenzimmer ist, gewiß niemals bemerken wird. Sie nahmen Manieren an, denen der selbe Geist innewohnt, der ihren Anzug beherrscht. Die reizende Verschämtheit, welche dein Geschlecht auszeichnet, ehrt und verschönt, achteten sie für gemein und bürgerlich, und belebten ihre Geberden und Reden mit einer edlen Unverschämtheit, so daß kein ehrlicher Mann ist, der nicht vor ihrem zuversichtlichen Blicke die Augen niederschlagen müßte. So auf ihren Rang mehr als auf ihr Geschlecht stolz, verleugnen sie, um nicht den anderen Weibern gleich zu sein, die Weiblichkeit und ahmen den Freudenmädchen nach, um nicht nachgeahmt zu werden.
    Ich weiß nicht, wie weit sie jene Nachahmungen treiben, aber das weiß ich, daß sie dieser, der sie zuvorkommen wollen, doch nicht ganz haben ausweichen können. Das Roth und die ausgeschnittenen Leibchen anlangend, so haben sich die Moden nach Möglichkeit verbreitet. Die Frauen aus der Stadt haben lieber auf ihre natürliche Farbe und die Reize, die ihnen das
amoroso pensier
ihrer Liebsten giebt, verzichtet als bürgerlich gehen wollen, und wenn das Beispiel nicht auch die unteren Stände ergriffen hat, so kommt das nur daher, weil eine Frau, die in solchem Aufzuge zu Fuße geht, ganz sicher vor Insulten des Pöbels sein würde. Dergleichen Insulten sind der Racheschrei der empörten Schamhaftigkeit, und die Brutalität des Volkes, hier einmal, wie so oft, gesitteter als der Anstand der Gebildeten, hält vielleicht hunderttausend Frauen in den Gränzen der Züchtigkeit; gerade was die geschickten Erfinderinnen jener Moden bezweckt haben.
    Die soldatische Haltung und den grenadiermäßigen Ton anlangend, so fällt er weniger auf, weil er allgemeiner verbreitet ist und sich nur dem Neuling fühlbar macht. Von dem Faubourg Saint-Germain bis zu den Hallen giebt es wenige Frauen in Paris, deren Auftreten und Blick nicht von einer Dreistigkeit wäre, die Jeden aus der Fassung bringen muß, der von Hause her dergleichen nicht

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