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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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hat mit diesen Liaisons nichts zu schaffen, man sieht dabei nur auf die Bequemlichkeit und gewisse äußere Ziemlichkeiten. Es ist, wenn man will, sich kennen, mit einander leben, sich verabreden, sich sehen und noch weniger wo möglich. Eine galante Liaison dauert Weniges länger als eine Visite, es ist eine Sammlung von artigen Unterhaltungen und artigen Briefen, voller Portraits, Maximen, Philosophie und Geist. Hinsichts des Physischen, ist nicht gar so viel Heimlichkeit nöthig; man hat sehr sinnig herausgefunden, daß sich je nach der Dringlichkeit der Begierde die Leichtigkeit sie zu befriedigen richten müsse: die erste beste und der erste beste, der Liebhaber oder ein anderer, ein Mann ist immer ein Mann; alle sind so ziemlich gleich gut, und wenigstens ist Consequenz hierin, denn warum sollte man dem Liebhaber treuer sein als dem Manne? Sodann und auch bei gewissen Jahren alle Männer so ziemlich der nämliche Mann und alle Frauen die nämliche Frau, alle diese Puppen sind aus demselben Putzladen, und es ist nichts Anderes für die Wahl entscheidend als was am bequemsten zur Hand ist.
    Ich weiß zwar in diesem Punkte nichts aus Erfahrung; aber es sind mir hinsichts desselben so absonderliche Aeußerungen vorgekommen, daß es mir nicht möglich war, das Verhältniß recht zu fassen. So viel ich begriffen habe, ist bei den meisten Frauen der Liebhaber gleichsam einer von ihren Leuten; wenn er seine Schuldigkeit nicht thut, schickt man ihn fort und nimmt einen anderen; findet er es anderswobesser oder ist er des Geschäfts überdrüssig, so dankt er ab und man nimmt einen anderen. Es giebt, sagt man, sogar Frauen, die wunderlich genug sind, es mit dem Herrn vom Hause zu probiren, denn im Grunde ist er doch auch eine Art Mann. Das ist eine Caprice, die nicht vorhält; wenn sie vorüber ist, läßt man ihn laufen und nimmt einen anderen, oder, falls er halsstarrig ist, behält man ihn und nimmt den anderen dazu.
    Aber, sagte ich zu Dem, der mir diese wunderlichen Bräuche erklärte, wie stellt sich eine Frau nachher gegen alle diese Anderen, die so ihren Abschied erhalten oder genommen haben? Ganz einfach! antwortete er; sie stellt sich gar nicht. Man sieht sich nicht mehr, man kennt sich nicht mehr. Wenn man je den Einfall hätte, wieder anzuknüpfen, so wäre von neuem Bekanntschaft zu machen, und es wäre schon viel, wenn man sich erinnerte, sich schon einmal gekannt zu haben. Aha! sagte ich; aber wenn ich auch alle Uebertreibungen abziehe, ich begreife doch nicht, wie man nach einer so zärtlichen Verbindung sich mit kaltem Blute sehen kann, wie das Herz nicht schlägt beim Namen dessen, was man einmal geliebt hat, wie man nicht von Zittern befallen wird, wenn man es wieder erblickt. Sie machen mich lachen, rief er, mit Ihrem Zittern, Sie möchten also wohl, daß unsere Frauen nichts weiter thäten, als in Ohnmacht fallen?
    Nimm einen Theil von dieser Schilderung hinweg, die ohne Zweifel stark übertrieben ist, stelle Julie neben das Uebrige und erinnere dich meines Herzens: ich brauche dir nichts weiter zu sagen.
    Indessen muß ich gestehen. daß man gegen manchen dieser unangenehmen Eindrücke durch die Gewöhnung abgestumpft wird. Wenn das Schlechte mehr in die Augen springt als das Gute, verhindert es doch dieses nicht, endlich auch hervorzutreten; Reize des Geistes und des Naturells stellen die persönlichen Reize in's Licht. Ist der anfängliche Widerwille einmal überwunden, so schlägt er bald in das entgegengesetzte Gefühl um. Dies ist die Kehrseite des Bildes, und es wäre ja ungerecht, es nur von der anderen, unvortheithaften zu zeigen.
    Der vornehmste Uebelstand in großen Städten ist, daß in ihnen die Menschen zu etwas Anderem werden als sie im Grunde sind, daß ihnen die Gesellschaft, so zu sagen, ein ihnen fremdes Wesen aufdrückt. Dies ist vorzugsweise in Paris wahr und vorzugsweise in Betreff der Frauen, die allen Werth auf das legen, was sie in den Augen Anderer
    scheinen. Wenn man sich einer Dame in Gesellschaft nähert, findet man anstatt einer Pariserin, wie man erwartet, nichts weiter als ein Modefigürchen. Ihre Höhe, ihre Breite, ihr Gang, ihr Wuchs, ihr Hals, ihre Farbe, ihre Miene, ihr Blick, ihre Reden, ihre Manieren, nichts von allem ist ihr eigen, und sähe man sie in ihrem natürlichen Wesen, so würde man sie nicht wiedererkennen. Jene Wandlung ist Denen, die sie mit sich vornehmen, selten günstig, wie denn im Allgemeinen bei Allem, was man künstlich an die Stelle der

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