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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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gewohnt ist: das Erstaunen, in das man durch die Neuheit dieser Manieren versetzt wird, ist Schuld an der dummen Miene, die man den Fremden vorwirft. Und wenn sie nun erst gar den Mund öffnen! Nichts von der süßen, lispelnden Stimme der Walliserinnen; ein gewisser harter, scharfer, ausfragender, herrischer, höhnischer Ton und eine Stimme stärker als die eines Mannes. Und wenn in ihrem Tone vielleicht noch etwas von der ihrem Geschlechte natürlichen Zartheit übrig ist, so wird auch das durch ihre dreiste und neugierige Art die Leute anzusehen gänzlich in Schatten gestellt. Sie scheinen besonders Vergnügen daran zu finden, sich an der Verlegenheit Derer, die ihrer zum ersten Male ansichtig werden, zu weiden; aber es steht zu glauben, daß diese Verlegenheit ihnen weniger gefallen würde, wenn sie den Grund derselben besser einsähen.
    Indessen sei es nun meinerseits Eingenommenheit für die Schönheit oder ihrerseits ein Instinkt sich ins rechte Licht zu stellen, die schönen Frauen scheinen mir im Allgemeinen ein wenig bescheidener und sittsamer in ihrer Haltung. Diese Mäßigung wird ihnen ja nicht schwer, sie fühlen die Vortheile derselben, sie wissen, daß sie keine Lockmittel nöthig haben, um uns anzuziehen. Vielleicht ist es auch dies, daß ein unverschämtes Wesen bei Häßlichen empfindlicher und auffallender ist; gewiß möchte man ein häßliches Gesicht, das Frechheit zeigt, lieber mit Ohrfeigen als mit Küssen bedecken, während es bei bescheidenem Wesen ein zärtliches Mitleid erregt, das wohl manchmal zur Liebe führen kann. Aber wenn man auch hier bei hübschen Personen etwas Milderes im Benehmen findet, so ist doch noch immer so viel Schönthuerei auch in ihren Manieren, und sie sind immer so sichtlich mit sich selbst beschäftigt, daß man hier zu Lande nie in die Versuchung geräth, in der sich Herr von Muralt bei den Engländerinnen bisweilen befand, einer Frau zu sagen, daß sie schön ist, nur um des Vergnügens willen, der Erste zu sein, der es ihr entdeckt.
    Die der Nation eigene Munterkeit und der Reiz, vornehme Manieren nachzuäffen, sind nicht die einzigen Ursachen der Freiheit im Reden und Benehmen, welche man hier an den Frauen bemerkt, Sie scheint eine tiefere Wurzel in den Sitten zu haben, indem die beständige und rücksichtslose Vermischung der beiden Geschlechter jedem von beiden etwas von der Manier, Sprache und Haltung des andern aufdrängt. Unsere Schweizerinnen haben es ziemlich gern, unter sich zusammenzukommen
[Das Alles hat sich sehr geändert. Den Umständen nach scheinen diese Briefe erst vor etwa zwanzig Jahren geschrieben; den Sitten, dem Style nach, sollte man glauben, sie seien aus einem andern Jahrhundert.]
, und lassen sich dann in süßer Vertraulichkeit gehen, undwiewohl sie dem Anscheine nach den Umgang mit Männern nicht hassen, so ist doch gewiß, daß deren Gegenwart eine Art Zwang in diese kleine Gynäkokratie bringt. In Paris ist es gerade umgekehrt; die Frauen gehen nur gern mit Männern um, sie fühlen sich nur in Deren Gesellschaft wohl. Bei allen geselligen Znsammenkünften ist die Frau vom Hause fast jedesmal die einzige Frau inmitten eines Kreises von Männern. Man kann kaum begreifen, woher so viele Männer kommen, als man überall nöthig hat; aber Paris ist voller Abenteurer und Cölibatäre, die ihr Leben damit hinbringen, von Haus in Haus zu gehen, und wie sonst beim Gelde, macht hier die Circulation bei den Männern, daß sie sich zu vervielfältigen scheinen. So lernt denn die Frau von ihnen reden, handeln, denken und sie lernen es von ihr. Da sie der einzige Gegenstand für die kleinen Galanterien dieser Herren ist, genießt sie in Ruhe der Huldigungen, die in Wahrheit Beleidigungen sind, denn man hält es nicht einmal der Mühe werth, ihnen auch nur einen Anstrich von ehrlicher Meinung zu geben. Was thut's! Ernst oder Spaß, man beschäftigt sich doch mit ihr, und das ist Alles, was sie will. Laß eine andere Frau dazu kommen, im Augenblicke tritt Förmlichkeit an die Stelle des vertraulichen Tones, die feierliche Miene stellt sich ein, die Aufmerksamkeit der Männer theilt sich und allerseits befindet man sich in einer geheimen Befangenheit, aus der man nicht eher herauskommt, als bis man auseinandergeht.
    Die Frauen von Paris gehen gern in's Theater, nämlich nicht um zu sehen, sondern um sich sehen zu lassen; da ist denn jedesmal, wenn sie hingehen wollen, die große Verlegenheit, eine Begleiterin zu finden, denn der Brauch gestattet

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