Julie oder Die neue Heloise
Folgen haben können! Nein, es ist keines darunter, das nicht seine Gefahr hätte, bis zum kindischsten von allen. Ich zittere jedesmal, Ihrer Hand dabei zu begegnen, und ich weiß nicht, wie es zugeht, aber ich begegne ihr jedesmal. Kaum legt sie sich auf die meinige, so ergreift ein Zittern meine Glieder, das Spiel erregt mir Fieberschauer, nein, macht mich wahnsinnig. Ich sehe nichts mehr, fühle nichts mehr; und so nicht meiner mächtig, was soll ich reden, was thun, wo mich verstecken, wie für mich einstehen?
Bei den Stunden ist wieder ein anderer Uebelstand. Wenn Ihre Mutter oder Ihre Cousine sich einen Augenblick entfernen, und wir allein sind, so ändern Sie plötzlich Ihr Benehmen. Sie zeigen mir dann eine so ernste, kalte, eisige Miene, daß Scheu, daß Furcht, Ihnen zu mißfallen, mir alle Geistesgegenwart und Besinnung raubt und ich kaum einige Worte zitternd hervorstammeln kann, denen Sie bei aller Ihrer Fassungsgabe gewiß nur mit Mühe folgen können. So bringt die Ungleichheit in der Begegnung, welche Sie geflissentlich annehmen, uns allen Beiden Nachtheil: Sie thun mir so weh und Sie, Sie lernen nichts; ich begreife gar nicht, was eine so vernünftige Person zu einem so launischen Wechsel bewegen kann. Ich möchte Sie fragen: wie können Sie nur öffentlich so munter mit mir umgehen, und so steif, wenn wir allein sind? Ich dachte immer, es müßte gerade umgekehrt sein und man nähme ein gehalteneres Wesen an, je mehr man Beobachter um sich hätte. Statt dessen bemerke ich an Ihnen, jedesmal mit neuem Erstaunen, im vertraulichen Beisammensein die größte Abgemessenheit und in Gegenwart Aller den vertraulichsten Ton. O, bitte, bleiben Sie mehr sich gleich, vielleicht werde ich dann weniger Qual leiden.
Wenn die Schmerzen eines Unglücklichen, dem Sie einige Achtung gezeigt haben, Ihnen leid thun — ist doch Mitleid guten Seelen natürlich —, so wird ein wenig Aenderung in Ihrem Benehmen ihm seine traurige Lage erleichtern und ihm sein Schweigen und sein Leiden erträglicher machen. Wenn sein innerer Kampf und sein Zustand Sie nicht rühren und Sie wollen von dem Recht, ihn zu verderben, Gebrauch machen, so können Sie es thun, und er wird nicht murren: er will ja lieber auf Ihr Geheiß zu Grunde gehen als durch einen Ausbruch unbewachter Leidenschaft, der ihn in Ihren Augen strafbar machen würde. Genug, was Sie auch über mein Schicksal beschließen, ich werde mir wenigstens nicht vorzuwerfen haben, daß ich so verblendet war, eine verwegene Hoffnung zu hegen. Und wenn Sie diesen Brief gelesen haben, so haben Sie schon Alles gethan, um was ich Sie zu bitten wagen würde, selbst dann, wenn ich keine Abweisung zu fürchten hätte.
Zweiter Brief.
An Julie.
Wie sehr habe ich mich getäuscht, Mademoiselle, mit meinem ersten Briefe! Statt mir Erleichterung zu verschaffen, habe ich mein Uebel nur verschlimmert, indem ich mich Ihrem Unwillen aussetzte, und ich fühle, daß Ihr Mißfallen doch von Allem das Schlimmste ist. Ihr Stillschweigen, Ihr kaltes zurückhaltendes Benehmen künden mir nur zu sehr mein Unglück an. Wenn Sie meine Bitte theilweise erhört haben, so ist es nur mir zu desto größerer Strafe geschehen.
E poi eh' amor di me vi fece accorta,
Fur i biondi capelli allor velati
E l'amoroso sguardo in se raccolto.
[Dich machte kaum mein Lieben auf dich achten,
So wurde gleich das blonde Haar umschleiert,
Der holde Blick zog sich in sich zurück. (Metastasio).]
Oeffentlich vermeiden Sie die unschuldige Vertraulichleit, über die ich so thöricht war mich zu beklagen; aber Sie sind nur desto strenger, wenn wir allein sind; an dem, was Sie gewähren, und an dem, was sie verweigern, übt sich gleichermaßen Ihre sinnreiche Härte.
Wenn Sie doch sehen könnten, welche Marter diese Kälte mir bereitet! Sie würden mich nur zu sehr bestraft finden. Wie gern, wie gern möchte ich die Vergangenheit wiederherstellen, möchte machen können, daß Sie niemals diesen unglückseligen Brief gesehen hätten. Nein! aus Furcht, Sie abermals zu beleidigen, würde ich auch diesen nicht schreiben, wenn ich nicht den ersten geschrieben hätte, und nicht verdoppeln will ich meinen Fehler, sondern wieder gut machen. Muß ich, um Sie zufrieden zu stellen, Ihnen sagen, daß ich mich selbst betrog? Muß ich betheuern, daß es nicht Liebe war, was ich für Sie fühlte? .... Ich, ich sollte den verhaßten Meineid aussprechen? Ist elende Lüge eines Herzens würdig, in welchem Sie regieren? Ha! daß ich
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