Julie oder Die neue Heloise
verbergen?
N. Aber genug, Sie kennen die Orte; Sie sind in Vevay, sind im Waadtlande gewesen; wie?
R. Mehrmals, und ich kann Ihnen sagen, daß ich daselbst nie von einem Baron von Étange oder der Tochter eines solchen gehört habe. Der Name Wolmar ist dort nicht im Entferntesten bekannt. Ich bin in Clarens gewesen, aber ich habe dort kein solches Haus gesehen, wie es in den Briefen beschrieben wird. Ich habe, als ich aus Italien zurückkam, das Jahr des traurigen Ereignisses selbst dort zugebracht und man beweinte dazumal keine Julie von Wolmar, oder eine ihr ähnliche Person, soviel ich weiß. Endlich noch habe ich, soweit ich mich der Gegend erinnern kann, in diesen Briefen Ortsverwechslungen und topographische Irrthümer bemerkt, sei es nun, daß der Verfasser nicht recht Bescheid wußte oder daß er seine Leser geflissentlich irre führen wollte. Das ist Alles, was Sie von mir über diesen Punkt erfahren können, und seien Sie überzeugt, daß Andere mir nicht ablocken werden, was ich Ihnen nicht habe sagen wollen.
N. Alle Welt wird meine Neugier theilen. Wenn Sie dieses Werk bekannt machen, sagen Sie wenigstens dem Publikum, was Sie mir gesagt haben. Noch mehr; schreiben Sie unsere Unterredung auf und stellen Sie sie als Vorrede voran: es liegen alle nöthigen Aufklärungen darin.
R. Sie haben Recht; es ist mehr werth, als was ich aus meinem Kopfe gesagt haben würde. Uebrigens aber richtet man mit derartigen Apologien nichts aus.
N. Nein! wenn man sieht, daß der Verfasser sich darin schont. Aber ich habe dafür gesorgt, daß man an dieser diesen Fehler nicht finden wird. Nur würde ich Ihnen rathen, die Rollen zu vertauschen. Stellen Sie es so dar, als ob ich in Sie dränge, die Sammlung bekannt zu machen und Sie sich dagegen sträubten. Geben Sie sich die Einwürfe und mir die Antworten. Das wird bescheidener sein und wird mehr Effect machen.
R. Wird es auch in dem Charakter sein, wegen dessen Sie mich zuvor gerühmt haben?
N. Nein. Ich habe Ihnen eine Falle gestellt; lassen Sie Alles, wie es ist.
Erste Abtheilung.
Tony Johannot (1803-52): Julie schreibt unter Tränen (I, 4).
Erster Brief.
An Julie.
Ich muß Sie fliehen, Mademoiselle, ich fühle es wohl. O, hätte ich doch nicht so lange damit gewartet, oder vielmehr hätte ich Sie nie gesehen! Aber nun, was thun? wie mich benehmen? Sie haben mir Freundschaft zugesagt. Sehen Sie meine Qual und rathen Sie mir!
Sie wissen, daß ich nur auf die Einladung Ihrer Frau Mutter in Ihr Haus eingetreten bin. Weil sie wußte, daß ich einige angenehme Talente angebaut hatte, glaubte sie, daß dieselben an einem Orte, wo es gänzlich an Lehrern fehlt, zu der Erziehung der Tochter, welche sie anbetet, einige Dienste leisten könnten. Ich, stolz darauf, eine so schöne Anlage mit einigen Blüten schmücken zu dürfen, wagte es, dieses bedenkliche Geschäft zu übernehmen, ohne die Gefahr vorauszusehen, wenigstens ohne sie zu fürchten. Ich will Ihnen nicht sagen, daß ich für meine Verwegenheit zu büßen anfange: ich hoffe, daß ich mich nie so weit vergessen werde, Reden gegen Sie zu führen, die Ihnen anzuhören nicht geziemt, daß ich es nie an der Achtung werde fehlen lassen, die ich Ihrer Sittsamkeit noch mehr als Ihrem Range und Ihren Reizen schuldig bin. Wenn ich leide, so habe ich wenigstens den Trost, daß ich allein leide, und ich würde ein Glück nicht mögen, das Ihnen das Ihrige kosten könnte.
Indessen sehe ich Sie täglich und ich bemerke, daß Sie, ohne daran zu denken, unschuldigerweise Leiden vergrößern, wegen deren Sie mich nicht bedauern können, und von denen Sie nichts wissen dürfen. Ich weiß zwar, was in solchem Falle, wenn keine Hoffnung ist, die Klugheit zu thun vorschreibt, und ich würde jede Anstrengung gemacht haben, ihrerWeisung zu folgen, wenn ich nur bei dieser Gelegenheit die Klugheit mit der Schicklichkeit zu vereinigen wüßte; aber wie soll ich mich mit Anstand aus einem Hause zurückziehen, in das mich die Herrin selbst veranlaßt hat einzutreten, die mich mit Güte überhäuft und glaubt, daß ich dem, was ihr das Liebste auf der Welt ist, von einigem Nutzen sein könnte? Wie soll ich dieser zärtlichen Mutter die Freude verderben, ihren Gemahl mit Ihren Fortschritten in Studien, die sie zu diesem Ende vor ihm geheim hält, eines Tages zu überraschen? Soll ich so ungezogen sein und gehen, ohne ihr etwas zu sagen? Soll ich ihr die Ursach meines Scheidens erklären? Und wird nicht schon dieses Geständniß
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