Julie oder Die neue Heloise
stärker, tugendhafter sein denn je, und es wird von Rückfällen keine Rede mehr sein. Wahrlich, mein liebenswürdiger Freund, Sie müssen in diesem gefahrvollen Zustande sie, die Sie liebten, auf's Höchste schonen. Alles, was ihr von Ihnen kommt, wäre es auch nur wider Ihren Willen, kann nur tödtlich für sie sein. Wenn Sie es bei ihr durchsetzen wollen, so werden Sie leicht siegen, aber Sie werden sich sehr täuschen, wenn Sie dieselbe Julie zu besitzen meinen, Sie werden sie nicht wiederfinden.
Achter Brief.
Milord Eduard an Juliens Liebsten.
Ich hatte Rechte auf dein Herz erworben; du warst mir zum Bedürfniß geworden und ich war im Begriff, zu dir zu reisen. Was fragst du nach meinen Rechten, meinen Bedürfnissen, meinem Eifer?
Du hast mich vergessen, du denkst nicht mehr daran, wir zu schreiben.Ich höre, wie abgeschieden und menschenscheu du lebst, ich durchschaue deine geheime Absicht. Das Leben ist dir zum Ueberdruß.
Stirb denn, junger Tollkopf! stirb, unbändiger und doch feiger Mensch! aber wisse, daß du, sterbend, in der Seele eines rechtschaffenen Mannes, dem du theuer warst, den Schmerz zurücklässest, einem Undankbaren gedient zu haben.
Neunter Brief.
Antwort.
Kommen Sie, Milord; ich wähnte, keine Freude mehr auf Erden schmecken zu können; aber wir werden uns ja wiedersehen. Es ist nicht wahr, daß Sie mich mit den Undankbaren vermengen; Ihr Herz ist nicht dazu gemacht, auf sie zu stoßen, noch meines, ihnen anzugehören.
Billet.
Von Julie.
Es ist Zeit, von den Jugendverirrungen zurückzukommen, und eine trügliche Hoffnung aufzugeben: ich werde nie die Ihrige sein. Geben Sie mir die Freiheit zurück, die ich Ihnen verpfändet habe, und über die mein Vater verfügen will, oder setzen Sie meinem Unglücke die Krone auf durch eine Weigerung, die uns beide verderben wird, ohne Ihnen von irgend einem Nutzen zu sein.
Julie von Étange.
Zehnter Brief.
Von dem Baron von Étange.
In Begleitung des vorigen Billets.
Wenn in der Seele eines Verführers noch ein Gefühl von Ehre und Menschlichkeit sein kann, antworten Sie auf dieses Billet einer Unglücklichen, deren Herz Sie verderbt haben und die nicht mehr sein würde, wenn ich argwöhnen dürfte, daß sie sich noch weiter vergessen hätte. Es sollte mich nicht sehr wundern, wenn dieselbe Philosophie, die ihr gelehrt hat, sich dem ersten Besten an den Hals zu werfen, ihr auch lehrte, ihrem Vater de n Gehorsam zu versagen. Indessen bedenken Sie sich wohl. Ich liebe es, bei jeder Gelegenheit den Weg der Güte und des Wohlstandes einzuschlagen, wenn ich hoffen kann damit auszureichen; aber wenn ich mich Ihnen gegenüber dazu bequeme, glauben Sie nicht, daß ich deshalb nicht wüßte, wie ein beleidigter Edelmann seine Ehre an einem Manne rächt, der das nicht ist.
Elfter Brief.
Antwort.
Ersparen Sie sich, mein Herr, eitele Drohungen, die mich nicht schrecken, und ungerechte Vorwürfe, die mich nicht demüthigen können. Merken Sie sich, daß es zwischen zwei Personen im nämlichen Alter keinen anderen Verführer giebt als die Liebe, und daß es sich für Sie durchaus nicht schicken will, einen Mann herabzuwürdigen, den Ihre Tochter mit ihrer Achtung beehrt hat.
Welches Opfer wagen Sie mir aufzulegen und mit welchem Rechte fordern Sie es? Soll ich dem Urheber aller meiner Leiden meine letzte Hoffnung opfern? Ich will den Vater Juliens achten, aber möge er einwilligen, der meinige zu sein, wenn ich ihm soll gehorchen lernen. Nein, mein Herr, nein! welche Meinung Sie auch von Ihrer Handlungsweise haben, sie verpflichtet mich nicht, Ihretwegen am Rechte zu verzichten, die mir so theuer und von meinem Herzen so wohl erworben sind. Sie sind es, der mich unglücklich macht. Ich bin Ihnen nichts schuldig als Haß, und Sie haben nichts von mir zu fordern. Julie hat gesprochen: hier ist meine Einwilligung, Ach! möge sie immer nur Gehorsam finden! Ein Anderer wird sie besitzen; aber ich werde ihrer würdiger sein.
Wenn Ihre Tochter mich gewürdigt hätte, meine Ansicht über die Grenzen Ihres Ansehens zu begehren, so zweifeln Sie nicht, daß ich ihr gelehrt hätte, Ihren ungerechten Prätensionen Widerstand zu leisten. Welcher Art die Herrschaft sei, die Sie mißbrauchen, meine Rechte sind heiliger als die Ihrigen; das Band, welches uns umflicht, ist die Grenze der väterlichen Macht, selbst vor den menschlichen Tribunalen, und wenn Sie für sich die Natur in Anspruch nehmen, nein! Sie sind es, der ihren Gesetzen trotzt.
Führen
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