Julie oder Die neue Heloise
Sie mir auch nicht jene so wunderliche und so delicate Art Ehre an, die Sie rächen müßten, wie Sie sagen; Niemand beleidigt sie als Sie selbst. Achten Sie Juliens Wohl, und Ihre Ehre ist in Sicherheit; denn mein Herz ehrt Sie, Ihren Schmähungen zum Trotz, und allen veralteten Maximen zum Trotz wird die Verbindung mit einem rechtschaffenen Manne nie einen Anderen entehren. Wenn meine Präsumption Sie beleidigt, wohl, greifen Sie mein Leben an; ich werde es gegen Sie nimmermehr vertheidigen. Uebrigens mache ich mir sehr wenig daraus, zu erfahren, worin die Ehre eines Edelmannes besteht; was aber die Ehre eines braven Mannes betrifft, so ist diese mein, ich weiß sie zu vertheidigen, und werde sie rein und unbefleckt erhalten bis zum letzten Hauche.
Auf denn, barbarischer Vater, wenig würdig eines so süßen Namens; auf, und sinnen Sie scheußlichen Seelenmord, während eine zärtliche und unterwürfige Tochter ihr Glück Ihren Vorurtheilen opfert! Ihre Reue wird mich eines Tages rächen für die Leiden, die Sie mir bereiten, und zu spät werden Sie fühlen, daß Ihr blinder, unnatürlicher Haß Ihnen nicht minder verderblich war als mir. Ich werde unglücklich sein, ohne Zweifel; aber, wenn je die Stimme des Blutes sich im Grunde Ihres Herzens erhebt, um wie viel mehr werden Sie es sein, daß Sie Hirngespinnsten die einzige Frucht Ihrer Liebe opferten, einzig in der Welt an Schönheit, an Verdienst, an Tugend, und der der Himmel, verschwenderisch mit seinen Gaben, nichts versagt hat, als einen besseren Vater.
Billet.
eingeschlossen in den vorigen Brief.
Ich gebe Iulien von Étange das Recht zurück, über sich zu verfügen, und ihre Hand zu vergeben, ohne ihr Herz zu fragen.
S. P.
Zwölfter Brief.
Von Julie.
Ich wollte Ihnen die Scene beschreiben, die stattgefunden hat, und die das Billet zur Folge hatte, das Sie erhalten haben müssen, aber mein Vater hatte seine Maßregeln so genommen, daß sie erst einen Augenblick vor dem Abgang des Couriers endete. Sein Brief ist ohne Zweifel noch zu rechter Zeit auf die Post gekommen; mit diesem ist es nicht möglich: Ihr Entschluß wird gefaßt und Ihre Antwort abgegangen sein, ehe derselbe an Sie gelangt; also würde jede nähere Mittheilung überflüssig sein. Ich habe meine Pflicht gethan, Sie werden die Ihrige thun; aber das Schicksal drückt uns zu Boden, die Ehre verräth uns, wir werden auf ewig getrennt sein, und, zum Uebermaß des Gräuels, werde ich geworfen werden in die .... Ach! ich habe leben können in den deinigen ! O Pflicht! Wozu bist du nutze? O Vorsehung .... Seufzen und schweigen!
Die Feder fällt mir aus der Hand. Ich war seit mehren Tagen unwohl; das Gespräch von diesem Morgen hat mich merkwürdig aufgeregt Kopf und Herz thut mir weh ich fühle einen Schwindel …. Will sich der Himmel meiner Leiden erbarmen? ... Ich kann mich nicht aufrecht halten .... ich muß in's Bett gehen, und tröste mich mit der Hoffnung, daß ich nicht wieder aufstehen werde. Adieu, du meine einzige Liebe. Adieu zum letzten Male, theurer, zärtlicher Freund Juliens. Ach! wenn ich nicht mehr für dich leben darf, habe ich nicht schon aufgehört zu leben?
Dreizehnter Brief.
Julie an Frau von Orbe.
Es ist also wahr, theure, grausame Freundin, daß du mich zum Leben und zu meinen Schmerzen zurückrufst? Ich habe den glückseligen Augenblick gesehen, da ich mich mit der zärtlichsten der Mütter vereinigen sollte: deine unmenschliche Hülfe und Pflege hat mich gefesselt, daß ich noch länger um sie weinen muß. Und wenn das Verlangen, ihr nachzufolgen, mich der Erde entreißt, so hält mich der Schmerz, dich zu verlassen, hier zurück. Wenn mich etwas tröstet, daß ich noch am Leben bin, so ist es nur die Hoffnung, dem Tode nicht ganz entronnen zu sein. Sie sind nicht mehr, die Annehmlichkeiten meines Gesichtes, die mein Herz so theuer bezahlt hat; die Krankheit, die ich überstanden habe, hat mich von ihnen befreit. Diese glückliche Einbuße wird den rohen Eifer eines Mannes abkühlen, der so entblößt von Zartgefühl ist, daß er mich ohne meine Zustimmung heiraten will. Wenn er an mir das nicht mehr findet, was ihm gefiel, so wird er sich aus dem Uebrigen wenig machen. Ohne meinem Vater wortbrüchig zu werden, ohne den Freund zu beleidigen, dem er sein Leben verdankt, werde ich diesen Zudringlichen zurückschrecken können; mein Mund wird schweigen, aber mein Anblick wird für mich sprechen. Seine Abneigung wird mich vor seiner Tyrannei behüten, und er
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