Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
welches Sie im Sinne haben, desto weniger kann ich darein willigen, und derselbe Beweggrund, der mir stets den Muth nahm, Ihnen etwas abzuschlagen, muß mich in diesem Punkte unerbittlich machen. Der Gegenstand ist von der größten Wichtigkeit, und ich ermahne Sie, meine Gründe wohl zu erwägen. Erstlich scheint mir, daß Ihr übermäßiges Zartgefühl Sie diesmal irregeführt, und ich sehe nicht, auf welchen Grund hin die strengste Tugendhaftigkeit ein derartiges Bekenntniß gebieten könnte. Kein Vertrag auf der Welt kann eine rückwirkende Kraft haben. Man kann sich nicht verpflichten für das, was vorbei ist, noch versprechen, was man nicht mehr die Macht hat, zu halten; weshalb sollte man Dem, mit welchem man ein Verhältniß eingeht, Rechenschaft schuldig sein über den Gebrauch, welchen man früher von seiner Freiheit gemacht hat, und eine Treue, die man ihm nicht versprochen hatte? Täuschen Sie sich nicht, Julie, nicht an Ihrem Gatten, an Ihrem Freunde haben Sie eine Untreue begangen. Vor der Gewaltthat Ihres Vaters hatten Himmel und Natur uns vereinigt. Sie haben dadurch, daß Sie ein neues Bündniß eingingen, ein Verbrechen begangen, das Liebe und Ehre vielleicht nicht vergeben, und ich allein habe das Gut zurückzufordern, das Herr von Wolmar mir geraubt hat.
    Wenn es Fälle giebt, wo die Pflicht ein Geständniß dieser Art erheischen mag, so ist ein solcher, wenn die Gefahr eines Rückfalls eine kluge Frau nöthigt, Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen, um sich davor sicher zu stellen. Aber Ihr Brief hat mich, mehr als Sie glauben, über Ihre wahren Gefühle aufgeklärt. Indem ich ihn las, fühlte ichin meinem eigenen Herzen, wie sehr das Ihrige selbst im Schoße der Liebe ein verbrecherisches Verhältniß, in der Nähe betrachtet, verabscheut haben würde, dessen Abscheulichkeit die Enfernung uns verdeckte.
    Außerdem daß Pflicht und Redlichkeit dies Geständniß nicht fordern, verbieten es Klugheit und Vernunft; denn es würde dabei ohne Noth das Köstlichste, was es in der Ehe giebt, aufs Spiel gesetzt werden, die Zuneigung des einen Gatten, das gegenseitige Vertrauen, der Friede des Hauses. Haben Sie den Schritt wohl genugsam überlegt? Kennen Sie Ihren Mann hinlänglich, um mit Sicherheit die Wirkung vorauszusehen, die er auf ihn haben wird? Wissen Sie, wie viel Männer es auf der Welt giebt, die nichts weiter brauchen, um eine ungezähmte Eifersucht, eine unüberwindliche Verachtung zu fassen, wer weiß, ob nicht gar einer Frau nach dem Leben zu trachten? Die Behandlung dieses so zarten Gegenstandes erfordert Rücksicht auf Zeit, Ort, Charakter. Hier, wo ich bin, hat ein Vertrauen dieser Art keine Gefahr; Leute, die die eheliche Treue so leicht nehmen, machen natürlich nicht viel Wesen aus vorangegangenen Fehltritten. Abgesehen von den Gründen, die bisweilen ein Geständniß unerläßlich machen, und die für Sie nicht stattfinden, kenne ich Frauen von sehr mittelmäßiger Achtbarkeit, die sich mit wenig Gefahr ein Verdienst aus einer solchen Aufrichtigkeit gemacht haben, vielleicht um dadurch ein Vertrauen zu erkaufen, welches sie gelegentlich mißbrauchen könnten. Aber an Orten, wo die Heiligkeit der Ehe höher gehalten wird, wo dieses Band eine feste Vereinigung knüpft, und wo die Männer eine wahre Anhänglichkeit für ihre Frauen haben, fordern sie von ihnen strengere Rechenschaft über sich, mögen es nicht leiden, daß andere zärtliche Gefühle, als die für sie, je in das Herz ihrer Frau gedrungen seien, verlangen, sich ein Recht anmaßend, das ihnen nicht gebührt, daß ihre Frauen schon ihnen allein gehört haben sollen, noch ehe sie ihnen überhaupt gehörten, und verzeihen den Mißbrauch der Freiheit ebensowenig als eine wirkliche Untreue.
    Auf mein Wort, tugendhafte Julie, geben Sie sich einem Eifer nicht hin, der grundlos und nutzlos ist. Behalten Sie ein gefährliches Geheimniß, das nichts Sie nöthigt zu offenbaren, dessen Mittheilung Ihnen verderblich werden und Ihrem Gatten nichts helfen kann. Verdient er ein solches Bekenntniß, so wird es ihn nur betrüben, und Sie werden ihm ohne alle Ursache Kummer gemacht haben. Wo nicht, warum wollen Sie seinem Unrecht gegen Sie einen Vorwand leihen?
    Was wissen Sie, ob Ihre Tugend, die Sie gegen die Angrisse Ihres Herzens beschützt hat, Sie auch gegen stets sich erneuenden häuslichen Verdruß aufrecht erhalten würde? Verschlimmern Sie für tiefen Fall nicht freiwillig Ihre Leiden, damit sie nicht endlich Ihren Muth über« wachsen,

Weitere Kostenlose Bücher