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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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zu einem Gute zu machen, und wenn es in seiner Vergangenheit ein Uebel war, dies nur ein Grund mehr ist, es noch fortzusetzen. Sage auch nicht, daß es dir freistehe, zu sterben; denn mit demselben Rechte könntest du sagen, es stehe dir frei, nicht Mensch zu sein, es stehe dir frei, dich gegen den Urheber deines Daseins aufzulehnen und das Geschick zu betrügen. Aber wenn du hinzusetztest, dein Tod thue Niemanden Leides, hast du wohl bedacht, daß Der, dem du das zu sagen wagst, dein Freund ist?
    Dein Tod thut Niemanden Leides! Ich verstehe: unser Verlust kümmert dich nicht, unseren Schmerz rechnest du für nichts. Ich will von den Rechten der Freundschaft gar nichts sagen, die du verachtest; giebt es nicht noch theurere
[Rechte theurer als die Freundschaft! Und es ist ein Weiser, der das sagt! Aber der vorgebliche Weise war selbst verliebt.]
, die es dir zur Pflicht machen, dich zu erhalten? Wenn es eine Person auf der Welt giebt, die dich so geliebt hat, daß sie dich nicht überleben mag, und der dein Glück zu ihrem Glücke fehlt, meinst du, ihr nichts schuldig zu sein? Wird nicht die Ausführung deines traurigen Vorhabens den Frieden einer Seele trüben, die mit so großer Mühe ihre frühere Unschuld wiedererworben hat? Fürchtest du nicht, in diesem zärtlichen Herzen Wunden, die nur schlecht geheilt sind, wieder aufzureißen? Fürchtest du nicht, daß dein Untergang einen anderen nach sich ziehe, der noch härter ist, indem er der Welt und der Tugend ihre würdigste Zierde raubt? Und gesetzt, sie überlebt dich, fürchtest du nicht in ihrem Busen Gewissensbisse aufzuregen, die schwerer zu ertragen sind, als das Leben? Undankbarer Freund, Liebhaber ohne Zartgefühl, willst du immer nur mit dir beschäftigt sein? willst du immer nur an deine Leiden denken? hast du kein Gefühl für das Wohl Deren, die dir theuer war? und kannst du nicht leben um ihrer willen, die mit dir sterben wollte?
    Du sprichst von den Pflichten des Staatsbeamten, des Familienvaters, und weil dir nicht diese obliegen, glaubst du dich von allen befreit. Und die Gesellschaft, der du deine Erhaltung, deine Kräfte, deine Einsichten schuldig bist? das Vaterland, dem du angehörst, die Unglücklichen, die deiner bedürfen, bist du denen nichts schuldig? O der genauen Aufzählung, die du machst! Unter den Pflichten, die du aufzählst, vergissest du nur die des Menschen und des Bürgers; wo ist da der tugendhafte Patriot, der sein Blut keinem fremden Fürsten verkaufen will, weil er es nur für sein Vaterland vergießen darf? Er will es jetzt als ein Verzweifelter gegen das ausdrückliche Verbot der Gesetze verschütten. Die Gesetze, die Gesetze, junger Mann! verachtet die der Weise? Der unschuldige Sokrates hat aus Achtung für sie nicht aus dem Gefängnisse entfliehen wollen: du nimmst keinen Anstand, sie zu übertreten, indem du unrechtmäßiger Weise dem Leben entfliehen willst, und fragst noch: was thue ich Uebels?
    Du willst dich durch Beispiele rechtfertigen: du wagst es, mir Römer zu nennen. Du und Römer! dir kommt es auch zu, dich auf jene erhabenen Namen zu berufen! Sage doch, ist Brutus als ein verzweifelter Liebhaber gestorben? Hat sich Cato die Brust durchstochen um seine Maitresse? Armseliger, schwacher Mensch, was ist gemein zwischen Cato und dir? Zeige mir das gemeinsame Maß jener erhabenen Seele und der deinigen. Ha, Frecher, schweige! Ich würde seinen Namen zu entweihen fürchten, wenn ich eine Vertheidigung unternähme. Bei diesem heiligen und hehren Namen muß jeder Freundder Tugend seine Stirn in den Staub beugen und schweigend das Gedächtnis ehren des größesten der Menschen.
    Wie schlecht sind deine Beispiele gewählt! und wie niedrig denkst du von den Römern, wenn du meinst, sie hätten sich für berechtigt gehalten, sich geschwind das Leben zu nehmen, sobald es ihnen zur Last war! Siehe die schöne Zeit der Republik an, und suche mir in ihr einen einzigen tugendhaften Bürger, der sich so von der Last seiner Pflichten, selbst nach dem schwersten Unglücke befreit hätte. Kam Regulus, als er nach Carthago zurückkehrte, durch seinen Tod den Martern zuvor, die seiner warteten? Was hätte nicht Posthumius darum gegeben, wenn dieser Ausweg bei den Caudinischen Pässen ihm frei gestanden hätte! Wie bewunderte nicht der Senat selbst die That des Muthes an dem Consul Varro, daß er seine Niederlage überlebt hatte! Aus welchem Grunde ließen sich so viele Feldherrn freiwillig den Feinden ausliefern, sie, denen

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