Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
drei Monaten werde ich auf unbekannten Meeren schwimmen, wo ewige Stürme herrschen; in drei Jahren vielleicht .... Wie schrecklich wäre es, Sie nicht wiederzusehen! Ach, die größte Gefahr von allen liegt in meinem Herzen; denn wie auch mein Loos falle, ich bin entschlossen, ich schwöre, Sie werden mich würdig sehen, vor Ihren Augen zu erscheinen, oder mich nicht wiedersehen.
    Milord Eduard, der wieder nach Rom geht, wird Ihnen auf der Durchreise diesen Brief zustellen, und Ihnen Näheres von dem, was mich betrifft, mittheilen. Sie kennen sein Gemüth, und werden das, was er Ihnen nicht sagen wird, leicht errathen. Sie kannten das meinige, denken Sie also auch, was ich Ihnen nicht sage. Ach Milord, Ihre Augen werden die Lieben dort wiedersehen!
    Ihre Freundin hat also gleich Ihnen das Glück, Mutter zu sein! .... sollte es also werden? .... Unerbittlicher Himmel! .... O du, meine Mutter, warum hat er dir in seinem Zorne einen Sohn gegeben?
    Ich muß schließen, ich fühle es. Adieu, reizende Cousinen. Adieu, unvergleichliche Schönheiten. Adieu, reine, himmlische Seelen. Adieu, zärtliche, unzertrennliche Freundinnen, einzige Frauen ihr. Jede von euch ist der einzige Gegenstand, der des Herzens der andern werth ist. Machet euch gegenseitig glücklich. Ach, und gedenket manchmal eines Unglücklichen, der nur lebte, um zwischen euch alle Empfindungen seiner Seele zu theilen, und zu leben aufhörte in dem Augenblicke, daer sich von euch entfernte. Wenn je .... Ich höre das Signal und das Geschrei der Matrosen; ich sehe den Wind die Segel schwellen; ich muß an Bord, ich muß fort. Weites Meer, unermeßliches Meer, das mich vielleicht hinabschlingen wird in seinen Schoß, könnte ich auf deinen Wogen die Ruhe finden, die mein bewegtes Herz nicht kennt!
     
     

Vierte Abtheilung.
    Noël François Bertrand (1784-1852): Saint-Preux kehrt zurück (IV, 1). 
Erster Brief.
Frau von Wolmar an Frau von Orbe.
    Wie lange zögerst du, wieder herzukommen! Dieses ewige Gehen und Kommen steht mir gar nicht an. Wie viele Zeit verlierst du mit der Reise hierher, wo du immer sein solltest, und was noch schlimmer ist, mit der Reise hinweg von hier! Der Gedanke, sich auf so kurze Zeit zu sehen, verdirbt die ganze Freude des Beisammenseins. Fühlst du nicht, daß so abwechselnd bei dir und bei mir sein, nirgend recht sein heißt? Und findest du denn kein Mittel, um bei Beiden zugleich zu sein?
    Was machen wir, liebe Cousine? Wie viele kostbare Augenblicke lassen wir verloren gehen, während wir doch keine mehr zu verschwenden haben! Die Jahre nehmen zu, die Jugend fängt an zu fliehen, das Leben verrinnt. Das flüchtige Glück, das es uns bietet, liegt in unsern Händen, und wir versäumen, es zu genießen! Gedenkst du wohl der Zeit, da wir noch Mädchen waren, jener ersten reizenden, lieblichen Zeit, die man in keinem andern Alter wiederfindet, und die das Herz so schwer vergißt? Wie oft, wenn wir uns nur auf wenige Tage, ja wenige Stunden trennen mußten, sprachen wir traurig beim Abschiede: Ach, wenn wir erst unsere eignen Herren sein werden, dann soll uns nichts mehr trennen! Wir sind es jetzt, und wir leben die Hälfte des Jahres getrennt von einander. Wie denn? Lieben wir uns weniger als damals? Liebe, theure Freundin, wir fühlen ja Beide, wie die Zeit, die Gewohnheit und deine Wohlthaten unsere Anhänglichkeit stärker und unauflöslicher gemacht haben. Mir wenigstens scheint deine Abwesenheit mit jedem Tage unerträglicher, und ich kann keinen Augenblickohne dich sein. Diese Zunahme unserer Freundschaft ist natürlicher als es scheinen mag; sie hat ihren Grund eben sowohl in unserer Lage, als in unseren Charakteren. Je älter man wird, auf einen desto engern Kreis schränken sich alle Gefühle ein; man büßt täglich etwas von dem ein, was Einem theuer war, und findet keinen Ersatz dafür. So stirbt man gliedweise ab, bis man zuletzt nichts liebt, als sich selbst, und aufgehört hat, zu fühlen und zu leben, ehe man aufhört da zu sein. Aber ein empfindsames Herz wehrt sich aus allen Kräften gegen diesen vorzeitigen Tod; wenn die Kälte in den äußersten Gliedern anhebt, sammelt es um sich seine ganze natürliche Wärme; jemehr es verliert, destomehr hängt es sich an das, was ihm bleibt, und ist an den letzten Gegenstand, so zu sagen, mit den Banden aller übrigen geknüpft.
    Diesen Zustand glaube ich schon zu empfinden, obgleich ich noch jung bin. Ach, Liebe, mein armes Herz hat so geliebt! es hat sich so frühe

Weitere Kostenlose Bücher