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Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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gesinnt zu sein. Wenn er jetzt Liebe zeigte, so wäre er ein Schuft; wenn er es nie über sich gewönne, so wäre er ein Ungeheuer.
    So weit also sind wir, Clärchen, und ich fange an zu glauben, daß der Himmel die Redlichkeit unserer Herzen und die wohlwollenden Absichten meines Mannes segnen werde. Aber wie gut bin ich doch, daß ich dir so umständlich erzähle. Du verdienst es nicht, daß ich so gern mit dir plaudere. Ich habe mir auch vorgenommen, dir nichts mehr zu sagen, und wenn du mehr wissen willst, so komm nur und hole dir's.
    N. S. Ich muß dir aber doch noch sagen, was mir mit diesem Briefe begegnet ist. Du weißt, mit welcher Nachsicht Herr von Wolmar das späte Geständniß aufnahm, welches diese unerwartete Rückkunft mir abzwang. Du hast gesehen, mit welcher Güte er meine Thränen zu trocknen und meine Scham zu zerstreuen wußte. Sei es, daß ich ihm nichts Neues sagte, wie du mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit vermuthet hast, sei es, daß er in der That gerührt war von einem Schritte, den nur die Reue veranlaßt haben konnte, nicht nur fuhr er fort, mit mir ganz so wie zuvor umzugehen, sondern er scheint seine Aufmerksamkeiten, sein Vertrauen, seine Achtung gegen mich noch zu verdoppeln und durch sein Betragen die Beschämung gut machen zu wollen, welche mir dieses Geständniß verursacht hat. Du kennst mein Herz, Cousinchen; du kannst dir denken, welchen Eindruck eine solche Handlungsweise auf mich machen muß!
    Sobald ich ihn entschlossen sah, unseren alten Lehrer kommen zu lassen, entschloß ich mich meinerseits die beste Vorsichtsmaßregel gegen mich zu gebrauchen, die mir zu Gebote stand, nämlich, meinen Mann selbst zum Vertrauten zu wählen, keine Unterredung unter vier Augen zu haben, deren Inhalt er nicht erführe, und keinen Brief zu schreiben, den er nicht sähe. Ich machte es mir sogar zum Gesetz, jeden Brief so zu schreiben, als ob er ihn nicht sehen würde, und ihn ihm dann zu zeigen. Du wirst in diesem hier eine Stelle finden, welche auf solche Art entstanden ist, und wenn ich mich auch nicht verhindern konnte, beim Schreiben daran zu denken, daß er den Brief sehen würde, so gebe ich mir doch das Zeugniß, daß ich deswegen auch nicht ein Wort anders gesetzt habe. Als ich ihm aber meinen Brief bringen wollte, hat er mich ausgelacht, und hat nicht die Gefälligkeit gehabt, ihn zu lesen.
    Ich gestehe dir, daß mir seine Weigerung ein wenig empfindlich war, gleich als hätte er mir nicht zugetraut, daß es mir mit meinem Anerbieten Ernst wäre. Diese Regung ist ihm nicht entgangen, und der offenste und edelste der Menschen beschwichtigte mich bald. Gestehen Sie, sagte er zu mir, daß Sie in diesem Briefe weniger von mir gesprochen haben als gewöhnlich. Ich gab es ihm zu. Wäre es schicklich gewesen, viel von ihm zu sagen, wenn ich im Voraus wußte, daß er das, was ich sagte, sehen würde? Nun wohl, entgegnete er lächelnd, ich will lieber nicht wissen, was Sie über mich sagen, und daß Sie mehr von mir sprechen. Dann fuhr er mit ernsterem Tone fort: die Ehe ist ein zu wichtiger, zu hoher Stand, um jede kleine Herzenseröffnung zu vertragen, die der zärtlichen Freundschaft ganz wohl ansteht. Dieses letztere Band mildert oft zur gelegenen Zeit die ausnehmende Strenge des anderen, und es ist gut, daß eine sittsame und verständige Frau bei einer treuen Freundin Trost, Aufschluß, Rath suchen kann, den sie vielleicht über manche Gegenstände bei ihrem Manne nicht suchen mag. Obgleich ihr nie unter einander Etwas sprechet, was Sie mir nicht willig mittheilen würden, so hüten Sie sich doch, sich hieraus ein Gesetz zu machen, damit diese Pflicht Ihnen nicht zu einem Zwange werde, und daß nicht eure Vertraulichkeit, aus ihrer Enge gerissen, an Reiz verliere. Glauben Sie mir, die Ergießungen der Freundschaft stocken vor einem Zeugen, wer er auch sei. Es giebt tausend Geheimnisse, die drei Freunde wissen müssen, und die sie sich nur zu zweien und zweien sagen können. Sie theilen wohl das Nämliche Ihrer Freundin und Ihrem Gatten mit, aber nicht auf die nämliche Art; und wenn Sie das eine mit dem anderen vermengen wollen, so wird die Folge davon sein, daß Sie Ihre Briefe mehr an mich, als an sie schreiben, und sich mit keinem von uns beiden wohl fühlen; sowohl in meinem eigenen Interesse, als in dem Ihrigen sage ich Ihnen das. Sehen Sie nicht, daß Sie schon die gerechte Scham fürchten, mich in's Gesicht zu loben? Warum wollen Sie uns beiden etwas rauben, sich das Vergnügen,

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