Julie oder Die neue Heloise
so recht frei über dergleichen sprechen kannst, und sehe aus deinem Briefe selbst, daß er Rath nöthig hat. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt ihn zu lenken, daß wir für ihn unserem eigenen Gewissen ein Bißchen verantwortlich sind, und bis er sich in völlig freiem Gebrauch seiner Vernunft befinden wird, müssen wir schön etwas helfen. Ich für mein Theil werde mich dieser Sorge stets mit Vergnügen unterziehen; denn er hat meinen Rathschlägen in Dingen, die dem Herzen so viel kosten, willige Folge geleistet, daß ich es ihm nie vergessen werde, und es giebt keinen Mann auf der Welt, seit der meinige nicht mehr ist, den ich so schätzte und liebte, wie ihn. Ich spare ihm auch seinerseits das Vergnügen auf, mir hier einige Dienste zu leisten. Ich habe viele sehr durcheinandergeworfene Papiere, die er mir ordnen helfen soll, und einige schwierige Geschäfte, bei denen ich seine Einsicht und seine Bemühungen nöthig haben werde. Uebrigens denke ich, ihn nur höchstens fünf bis sechs Tage bei mir zu behalten, und vielleicht schicke ich ihn dir schon den andern Tag zurück; denn ich bin zu eitel, um zu warten, bis ihn die Ungeduld ergreife, wieder hinüberzukommen, und habe ein zu gutes Auge, um mich in dieser Hinsicht zu täuschen.
Versäume also nicht, ihn mir, sobald er wiederhergestellt sein wird, zu schicken, ich meine, ihn herreisen zu lassen, oder ich werde keinen Spaß verstehen. Du weißt, wie ich lache, wann ich weine und deshalb nicht weniger traurig bin, so lache ich auch, wann ich grolle und bin deshalb nicht weniger erzürnt. Wenn du recht artig bist und Alles recht hübsch machst, so verspreche ich, dir durch ihn ein nettes, kleines Geschenk zu schicken, das dir Vergnügen machen wird, und noch dazu sehr großes Vergnügen; aber wenn du wich schmachten lässest, so kriegst du Nichts, das sage ich dir.
N. S. Apropos, sage mir doch, raucht unser Seemann? Flucht er? Trinkt er Branntwein? Trägt er einen großen Säbel? Hat er ein rechtes Flibustiergesicht? Mein Gott! was ich neugierig bin, zu sehen, wie man aussieht, wenn man von den Antipoden zurückkommt!
Neunter Brief.
Frau von Orbe an Frau von Wolmar.
Da, Cousine, da schicke ich dir deinen Sklaven wieder. Ich habe ihn während dieser acht Tage zu dem meinigen gemacht, und er hat seine Ketten so gutwillig getragen, daß man sieht, er ist dazu geboren, Knecht zu sein. Du magst mir nur danken, daß ich ihn nicht noch acht Tage länger behalten habe: denn, mit deiner gütigen Erlaubniß, wenn ich hätte warten wollen, bis er sich bei mir zu langweilen anfinge, so würde ich ihn nicht so bald haben zurückschicken können. Ich habe ihn also ohne Bedenken hier behalten. Bedenken habe ich nur getragen, ihn in meinem Hause wohnen zu lassen. Ich habe manchmal jenen Stolz der Seele in mir gefühlt, welcher die sklavischen Anstandsgesetze verachtet, und welcher der Tugend so wohl ansteht. Ich bin bei dieser Gelegenheit ängstlicher gewesen, ich weiß selbst nicht warum: ich kann nur soviel für gewiß sagen, daß ich mehr Lust hätte, mir aus dieser Zurückhaltung einen Vorwurf, als ein Lob zu machen.
Aber du, weißt du wohl, warum unser Freund hier so ruhig aushielt? Erstlich, er war bei mir, und ich denke doch, daß Das ein starker Grund ist, sich in Geduld zu schicken. Er ersparte mir viel Schererei, und diente mir in meinen Angelegenheiten; dabei kann sich ein Freund nicht langweilen. Ein dritter Punkt, den du schon errathen hast, wenn du dir's auch nicht merken lässest, ist der, daß er mit mir von dir sprach; und wenn wir die Zeit, welche dieses Geplauder wegnahm, von der, die, er hier zugebracht hat, abziehen wollten, so würdest du sehen, daß mir auf mein Theil sehr wenig übrig geblieben ist. Aber was für ein närrischer Einfall, von dir wegzugehen, um sich das Vergnügen zu verschaffen, von dir zu reden? Nun, nicht so närrisch als man denken sollte. Deine Gegenwart legt ihm Zwang auf; er muß beständig auf sich Acht haben; die geringste Indiscretion würde zu einem Verbrechen werden, und in solchen gefährlichen Momenten hört ein redliches Herz nichts als die Stimme der Pflicht; aber entfernt von dem Gegenstande, der einem theuer war, verstattet man sich zurückzudenken. Wenn man ein Gefühl erstickt, das strafbar geworden, warum sollte man sich einen Vorwurf daraus machen, daß man es gehabt hat, als es noch nicht strafbar war? Kann die süße Erinnerung an ein Glück, dessen Genuß erlaubt war, je verbrecherisch sein? Siehe, das
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