Julie oder Die neue Heloise
leichtgläubige Person, aber aufmerksam, geduldig und willig So ist nichts versäumt worden, um zu verhüten, daß die Laster, die das Stadtleben erzeugt, in ein Haus eindringen, dessen Herrschaft selbst von ihnen frei ist und sie nicht duldet.
Obgleich alle Bediente nur Einen Tisch haben, findet übrigens doch wenig Gemeinschaft zwischen den beiden Geschlechtern statt; dieser Punkt wird hier als ein sehr wichtiger betrachtet. Man ist nicht der Meinung jener Herrschaften, die für Alles gleichgültig sind, außer für ihr Interesse und nur gut bedient sein wollen, ohne sich im Uebrigen um Das zu kümmern, was ihre Leute thun. Man denkt im Gegentheil, daß diejenigen, die auf nichts weiter sehen, als auf gute Bedienung, nicht lange gut bedient sein werden. Zu genaue Verbindungen unter den Dienstboten verschiedenen Geschlechts erzeugen nur Unheil. Aus dem heimlichen Zusammenstecken mit den Kammerfrauen entspringen die meisten häuslichen Unordnungen. Wenn etwa eine derselben dem Haushofmeister gefällt, so wird er sie unfehlbar auf Kosten der Herrschaft verführen. Der Zusammenhalt der Mannspersonen blos unter sich, und ebenso der Frauenzimmer unter einander, hat nicht Festigkeit genug, um Folgen nach sich zu ziehen. Zwischen Mannspersonen und Frauenzimmern aber kommen jene geheimen Monopole zu Stande, welche auf die Länge die wohlhabendsten Familien zu Grunde richten. Es wird daher hier darauf gehalten, daß die Frauen im Hause sich anständig und züchtig betragen, nicht nur aus Gründen der Sittlichkeit und Schicklichkeit, sondern auch aus einem sehr wohlverstandenen Interesse; denn, sage man was man wolle, Niemand erfüllt gehörig seine Pflicht, wenn er sie nicht liebt, und immer nur Leute von Ehrgefühl sind im Stande, ihre Pflicht zu lieben.
Zur Verhütung einer gefährlichen Vertraulichkeit zwischen den beiden Geschlechtern, belädt man die Leute hier nicht etwa mit Vorschriften und Verhaltungsregeln, die sie nur in Versuchung sein würden heimlich zu übertreten, sondern man wirkt darauf hin, daß wie von selbst der Brauch entsteht, der mächtiger ist, als aller Befehl. Man verbietet ihnen nicht, sich zu sehen, aber man sorgt dafür, daß sie weder Gelegenheit noch Lust dazu haben. Dies erreicht man dadurch, daß man ihnen in Beschäftigungen, Gewohnheiten, Neigungen und Vergnügungen unterschiedene Richtungen giebt. Durch die bewunderungswürdige Ordnung, welche im Hause herrscht, werden sie unvermerkt darauf geführt, daß in einem wohlgeregelten Wirthschaftswesen die Mannspersonen und Frauenzimmer wenig Verkehr mit einander haben müssen. Mancher, der in diesem Punkte in dem ausgesprochenen Willen seines Herrn nur einen ungerechten Eigensinn finden würde, unterwirft sich ohne Widerstand einer Lebensart, die man ihm nicht förmlich vorschreibt, die sich ihm aber von selbst als die beste und natürlichste aufdrängt. Sie ist dies, Juliens Meinung nach, in der That; Julie behauptet, daß auch aus der Liebe und aus der ehelichen Vereinigung nicht ein beständiger Verkehr der beiden Geschlechter mit einander fließe. Ihrer Ansicht nach sind Mann und Frau wohl bestimmt, zusammen zu leben, aber nicht auf gleiche Weise; sie sollen übereinstimmend handeln, ohne die nämlichen Dinge zu thun. Das Leben, welches für den einen Theil Reiz hat, sagt sie, würde dem anderen unerträglich sein; die Neigungen, welche ihnen die Natur einpflanzt, sind ebenso abweichend von einander, als die Verrichtungen, die sie ihnen zuweist; ihre Ergötzungen sind nicht weniger verschieden, als ihre Pflichten; mit einem Worte, Beide tragen zum gemeinsamen Glücke auf unterschiedenen Wegen bei und diese Thelung der Geschäfte und Tätigkeiten ist das stärkste Band ihrer Vereinigung.
Ich muß gestehen, daß meine eigenen Beobachtungen sehr zu Gunsten dieses Grundsatzes sprechen. Ist es nicht in der That stehender Gebrauch bei allen Völkern der Welt, außer dem französischen unddenen, die ihm nachahmen, daß die Männer unter sich leben und die Frauen unter sich? Wenn sie einander sehen, so geschieht das, wie bei den spartanischen Eheleuten, mehr gelegentlich und fast verstohlen, als in lästigem, unausgesetztem Beieinandersein, das nur dazu führen kann, die von der Natur auf's Weiseste geordneten Besonderheiten zu vermengen und zu verunstalten; selbst bei den Wilden sieht man nicht unterschiedlos Männer und Frauen gemischt. Abends versammelt sich die Familie, und die Nacht bringt Jeder bei seiner Frau zu; mit dem Tage beginnt
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