Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Julie oder Die neue Heloise

Titel: Julie oder Die neue Heloise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
einem Chalet, als in einem Weinkeller verlieren. Sie schlug die Augen nieder ohne zu antworten, erröthete, und fing an mit ihren Kindern zu kosen. Dies reichte hin, um meine Gewissensbisse aufzuwecken. Milord, es war meine erste Indiscretion, und ich hoffe, es wird die letzte sein.
    Es herrscht in dieser kleinen Versammlung eine gewisse altväterische Einfalt, die für mich etwas Rührendes hatte; ich sah auf allen Gesichtern dieselbe Fröhlichkeit und vielleicht mehr Ungezwungenheit, als wenn Männer dabei gewesen wären. Die Herzlichkeit, welche zwischen den Dienerinnen und der Herrin herrschte, auf Vertrauen und Anhänglichkeit gegründet, konnte nur dazu dienen, die Achtung vor der letzteren und ihr Ansehen zu befestigen, und die Dienste, die geleistet und angenommen wurden, schienen nur Beweise von gegenseitiger Freundschaft zu sein. Alles, bis auf die Wahl der Speisen, machte diesen Schmaus anziehend. An Milchwerk und Zucker findet das andere Geschlecht besonderen Geschmack, und hat daran gleichsam ein Symbol der Unschuld und süßen Sanftmuth
[Das Wortspiel, das in douceur liegt, „Süßigkeit" und „Sanftmuth" ist im Deutschen nicht wiederzugeben. D. Uebers.]
, die seine schönsten Zierden sind. Die Männer haben dagegen im Allgemeinen eine Neigung zu dem Pikanten und zu geistigen Getränken, Nahrungsmitteln, die auch zu dem thätigen und rührigen Leben, welches die Natur von ihnen fordert, besser passen. Wenn diese Verschiedenheit des Geschmackes aufgehoben und umgetauscht wird, so ist dies fast ein unfehlbares Zeichen von regelloser Mischung der Geschlechter. In der That habe ich bemerkt, daß in Frankreich, wo die Frauen beständig mit den Männern zusammenleben, jene die Liebe zur Milch gänzlich und diese die Liebe zum Wein bedeutend verloren haben, während in England, wo die beiden Geschlechter weniger vermengt leben, der jedem von beiden eigenthümliche Geschmack sich besser erhalten hat. Im Allgemeinen ließe sich, dünkt mich, oft ein Anzeichen von dem Charakter des Menschen in seiner Vorliebe für dieses oder jenes Nahrungsmittel finden. Die Italiener, welche viel Gemüse essen, sind weichlich und weibisch. Ihr Engländer, die ihr große Fleischesser seid, habt in eurem zähen Wesen eine gewisse Derbheit, die sogar an's Rohe streifen kann. Der Schweizer, der von Natur kalt, ruhig und einfach, aber im Zorne auffahrend und heftig ist, liebt beiderlei Nahrungsmittel und trinkt Milch und Wein. Der Franzose,geschmeidig und veränderlich, ißt alles Mögliche und schmiegt sich in alle Charaktere. Julie selbst könnte mir als Beispiel dienen; denn obgleich sie bei ihren Mahlzeiten gern hat, was dem Gaumen schmeichelt, mag sie doch weder Fleisch, noch Ragouts, noch Salziges, und reinen Wein hat sie nie getrunken; ausgezeichnetes Gemüse, Eier, Milchwerk, Obst ist ihre gewöhnliche Nahrung, und ohne den Fisch, den sie auch sehr gern ißt, würde sie eine wahre Pythagoräerin sein.
    Es ist nichts, die Frauen im Zaume zu halten, wenn man nicht auch die Männer im Zaume hält, und dieser Zweig der Hausordnung, der nicht minder wichtig ist als der andere, macht noch mehr Schwierigkeit; denn der Angriff ist in der Regel lebhafter, als die Abwehr: es ist so von dem Erhalter der Natur geordnet. Im Staate werden die Bürger durch Sitten, Grundsätze, Tugend gezügelt; wie soll man aber Bediente, Miethlinge anders, als durch Zwang und Gewalt zügeln? Die ganze Kunst des Herrn besteht nun darin, dem Zwange ein Mäntelchen von eigener Lust und eigenem Vortheil überzuhängen, dergestalt, daß die Leute Alles selbst zu wollen glauben, was man sie zu thun nöthigt. Die Sonntagserholung, das Recht, das man ihnen nicht nehmen kann, zu gehen, wohin es ihnen gut dünkt, wenn ihre Beschäftigungen sie nicht mehr im Hause festhalten, zerstört oft an einem einzigen Tage alle gute Frucht des Beispiels und der Belehrungen von sechs anderen. Der Besuch der Schenken, der Verkehr und die Grundsätze ihrer Kameraden, der Umgang mit liederlichen Frauenzimmern bewirkt bald, daß sie für ihre Herren und für sich selbst verloren sind, und sich durch tausend Fehler unfähig zum Dienste, und der Freiheit unwerth machen.
    Diesem Uebelstande hilft man hier dadurch ab, daß man sie durch dasselbe, was sie sonst zum Ausgehen treibt, an's Haus fesselt. Was wollen sie auswärts? In der Schenke trinken und spielen. Nun wohl, sie trinken und spielen zu Hause. Es ist nur der Unterschied, daß der Wein ihnen nichts kostet, daß sie sich

Weitere Kostenlose Bücher