Julie oder Die neue Heloise
wieder die Trennung, und die beiden Geschlechter haben nichts mehr gemein, als höchstens die Mahlzeit. Dies ist die Ordnung, die sich durch ihre allgemeine Verbreitung als die natürlichste erweist, und selbst in den Ländern, wo sie umgestoßen ist, erkennt man noch Spuren von ihr. In Frankreich, wo die Männer es sich auferlegt haben, nach Frauenart zu leben, und mit den Frauen unaufhörlich eingeschlossen zu bleiben, zeigt die unwillkürliche Beweglichkeit, von der sie sich auch dort nicht losmachen können, daß dies nicht die Lebensweise ist, für welche sie bestimmt sind. Während die Frauen, auf ihrer Chaise-longue sitzend oder liegend, ruhig bleiben, sieht man die Männer in beständiger Unruhe aufstehen, hin und her gehen, sich wieder setzen, indem ein unwiderstehlicher Instinkt fortwährend gegen den Zwang kämpft, den sie sich auflegen, und sie wider Willen zu dem thätigen und rührigen Leben drängt, das ihnen die Natur zugewiesen hat. Es ist das einzige Volk in der Welt, wo die Männer im Schauspiel stehen, gleich als wollten sie sich im Parterre von der Anstrengung erholen, den ganzen Tag im Salon still zu sitzen. Kurz, sie empfinden so sehr das Lästige dieser stubenhockenden, weibischen Trägheit, daß sie, um wenigstens eine Art Thätigkeit hineinzubringen, ihren Platz zu Hause Fremden abtreten und zu anderen Frauen laufen, um sich wieder aufzufrischen.
Die Maxime der Frau von Wolmar bewährt sich vollkommen an dem Beispiel ihres Hausstandes. Indem Jeder, so zu sagen, ganz seinem Geschlechte angehört, leben die Frauen sehr abgesondert von den Männern. Sie gebraucht zur Verhütung verdächtiger Verbindungen unter ihnen weiter keinen Kunstgriff, als daß sie sie beiderseits unablässig beschäftigt, denn ihre Arbeiten sind so verschiedenartig, daß nur der Müßiggang sie zu einander führen könnte. Frühmorgens geht Jeder seinen Geschäften nach, und Niemand hat Muße, den andern in den seinigen zu stören. Nachmittags haben die Männer im Garten, auf dem Hofe, oder mii tsonstiger Landarbeit zu thun; die Frauen arbeiten in der Kinderstube, bis es Zeit ist mit den Kleinen einen Spaziergang zu machen, an dem oft auch ihre Herrin Theil nimmt, und der ihnen angenehm ist, als die einzige Gelegenheit, die sie haben, frische Luft zu schöpfen. Die Männer, die von der Arbeit des Tages müde genug werden, haben nicht eben Lust spazieren zu gehen, und bleiben, um auszuruhen, zu Hause, Alle Sonntage, nach der Nachmittagspredigt, kommen die Frauen ebenfalls in der Kinderstube etwa mit einer Verwandten oder Freundin zusammen, welche sie der Reihe nach mit Erlaubnis; der Hausfrau einladen. Dort wird bis zur Zeit einer kleinen Bewirthung, die ihnen die letztere giebt, geschwatzt, gesungen, Federball geschlagen, oder ein ärmliches Spiel vorgenommen, das die Kinder gern mit ansehen, solange sie sich noch nicht selbst damit belustigen können. Das Abendbrod kommt; es besteht aus Milchwerk, Honig, Gebackenem, Küchlein und Anderem, was Kinder und Frauen gern essen. Wein giebt es niemals, und die Männer, welche überhaupt nur wenig in das kleine Gynäceum
[Frauengemach.]
kommen, sind bei diesem Schmause nie zugegen, Julie aber fehlt selten dabei. Ich bin der Erste, mit dem eine Ausnahme gemacht worden ist. Letzten Sonntag erhielt ich, auf vieles Bitten, die Erlaubniß, mit Julie hinzugehen, sie nahm Bedacht, mir diese Gunst hoch anzurechnen. Sie sagte in Aller Gegenwart, daß sie sie mir nur für das eine Mal bewillige, und daß sie sie Herrn von Wolmar selbst abgeschlagen hätte. Sie können sich denken, wie das der Eitelkeit der Frauenzimmerchen schmeichelt, und ob ein Bedienter wohl daraus fallen kann, da Zulaß zu begehren, wo der Herr selbst ausgeschlossen ist.
Ich schmauste köstlich. Giebt es in der ganzen Welt etwas Besseres, ats die Milch hier zu Lande? Denken Sie sich also, wie gut sie aus einer Milchwirtschaft schmecken muß, der Julie vorsteht, und wenn man sie an ihrer Seite genießt. Fanchon legte mir
Grus
,
Céracée
[Namen von Milcherzeugnissen auf dem Gebirge von Salève.]
, Honigwaben,
Ecrelets
vor. Alles verschwand im Augenblick. Julie lachte über meinen Appetit. Ich sehe, sagte sie, indem sie mir noch einen Teller Sahne aufthat, daß Sie Ihrem Magen überall Ehre machen, und daß Sie mit den Frauen nicht minder gut zu zechen verstehen, als mit den Wallisern. Nicht minder ungestraft, antwortete ich: man kann sich hier wohl eben so gut wie dort berauschen, und die Vernunft eben so gut in
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