Julie oder Die neue Heloise
als ihm, sie zu verlassen. Habe ich Unrecht, Milord, Herren, die so geliebt sind, mit Vätern zu vergleichen, und ihre Diener mit ihren Kindern? Sie sehen, daß sie selbst sich nicht anders betrachten.
Es ist in diesem Hause ohne Beispiel, daß ein Bedienter seinen Abschied gefordert hätte; es ist sogar selten, daß einem mit Verabschiedung gedroht werde. Diese Drohung wird um so mehr gefürchtet, je mehr der Dienst angenehm und milde ist; die besten Leute haben immer die größte Furcht davor, und man hat nie nöthig, zur Ausführung der Drohung zu schreiten, außer bei solchen, um die es kein großer Schade ist. Es herrscht auch hierbei eine gewisse Regel, Wenn Herr von Wolmar gesagt hat: „Ich jage dich weg," so kann man die Verwendung der Frau vom Hause ansprechen, erlangt sie manchmal und wird auf ihre Bitte wieder zu Gnaden angenommen; ein Abschied aber, den sie ertheilt, ist unwiderruflich, und es ist keine Gnade mehr zu hoffen. Diese Verfahrungsart ist sehr zweckmäßig, um eben sowohl zu verhindern, daß man sich auf das weiche Herz der Frau zu sehr verlasse, als auch, daß man die Unbeugsamkrit des Mannes übermäßig fürchte. Es bleibt jedoch nicht aus, daß jenes Wort im Munde eines Herrn, der stets gerecht ist und niemals Zorn blicken läßt, ein Schreckenswort ist. Denn abgesehen davon, daß man nicht sicher darauf rechnen kann, Gnade zu erlangen, und daß diese niemals zwei Mal dem Nämlichen gewährt wird, verliert man durch dieses bloße Wort sein Altersrecht und wird, wenn mau im Dienste bleiben darf, als ein neu eingetretener betrachtet. So ist der Unverschämtheit vorgebeugt, die alten Bedienten eigen zu werden pflegt, und sie nehmen sich um so mehr in Acht, je mehr sie zu verlieren haben.
Die weibliche Dienerschaft besteht aus der Kammerfrau, der Wärterin der Kinder und der Köchin. Die letztere ist eine sehr reinliche und der Küche sehr kundige Bäuerin, der Frau von Wolmar selbst das Kochen gelehrt hat; denn in diesem noch unverkünstelten Lande
[Unverkünstelt! Es hat sich somit sehr verändert.]
lernen die jungen Personen jedes Standes Alles selbst machen, was dereinst in ihrem Hause ihre weiblichen Dienstboten zu thun haben werden, damit sie ihnen im Nothfall selbst Anleitung geben können und sich nicht von ihnen betrügen lassen. Kammerfrau ist nicht mehr Babi; diese ist nach Étange geschickt worden, von wo sie gebürtig ist; man hat ihr die Aufsicht über das Schloß und über Alles, was eingeht, anvertraut, so daß sie die dortige Oekonomie gewissermaßen zu controliren hat. Herr von Wolmar hatte in seine Frau schon lange gedrungen, diese Einrichtung zu treffen, ohne daß er sie dazu bringen konnte, eine alte Dienerin ihrer Mutter von sich zu entfernen, obgleich ihr Babi viel Ursache zu Klagen gegeben hatte. Endlich hat sie, als die Sache das letzte Mal zur Sprache kam, darein gewilligt, und Babi ist nach Étange abgegangen. Sie ist eine verständige und treue Person, aber schwatzhaft und nicht verschwiegen. Ich vermuthe, daß sie mehr als einmal die Geheimnisse ihrer Herrin verrathen hat, daß dies Herrn von Wolmar nicht unbekannt ist, und daß der kluge Mann, um unvorsichtigen Aeußerungen zuvorzukommen, die ihr vielleicht auch einmal gegen Fremde entschlüpfen könnten, eine solche Auskunft getroffen hat, daß Babi's gute Eigenschaften der Herrschaft zu Statten kommen, ohne daß ihr ihre schlechten Eigenschaften schaden können. An Babi's Stelle ist die Fanchon Regard gekommen, von der Sie sich früher so gern von mir erzählen ließen. Trotz der Voraussagung Juliens, und ungeachtet ihrer Wohlthaten, sowie derer ihres Vaters und der Ihrigen, ist diese so sittsame und verständige junge Frau in ihrem Hausstande nicht glücklich gewesen. Claude Anet, der sich in seinem Unglück so wacker gezeigt hatte, ist in besseren Umständen sich nicht treu geblieben. Sobald er sich in einer gemächlichen Lage befand, vernachlässigte er sein Handwerk, und nachdem er gänzlich in Unordnung gerathen war, lief er aus dem Lande, und ließ seine Frau mit einem Kinde zurück, das sie aber seitdem verloren hat. Julie nahm sie zu sich, unterwies sie in den kleinen Verrichtungen einer Kammerfrau, und ich hatte nie eine angenehmere Ueberraschung, als da ich sie am Tage meiner Ankunft in ihrer Thätigkeit fand. Herr von Wolmar hält sehr viel von ihr, und Beide haben ihr die Sorge anvertraut, auf die Kinder und auf deren Wärterin Acht zu haben. Diese letztere ist auch eine Bäuerin, eine simple und
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